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Horst-Dieter Knüppel hält Bielefelds Fußballplätze für sicher.

Fußballer grätschen
hier über reines Karbonat

Kaum Anlass zur Sorge nach Verätzung in Hiddenhausen

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Nach einem Unfall mit Hautverätzungen bei einem Fußballspiel in Hiddenhausen (Kreis Herford) werden die Betroffenen vermutlich keine Anzeige erstatten. In Bielefeld sind ähnliche Unfälle angeblich unmöglich. Fußballverbände allerdings teilen diese Meinung nur mit Einschränkung.

Beim Kreispokal-Endspiel der B-Juniorinnen in Hiddenhausen - es regnete stark - klagten mehrere Fußballerinnen über Hautreizungen und Atembeschwerden. Eine 16-Jährige erlitt Verätzungen der Haut am Oberschenkel, obwohl sie eine lange Hose trug, und musste zwei Tage lang im Krankenhaus behandelt werden.
Auslöser der Verletzungen soll das zur Markierung der Linien verwendete Material sein. Die Herforder Polizei verwahrt eine Probe sowie das Trikot der Fußballerin. »Falls jemand Anzeige erstattet, werden diese Asservate labortechnisch untersucht«, sagte Herfords Polizeisprecher Wolfgang Hase. Mit einer solchen Anzeige rechne er jedoch nicht.
Kann so etwas auch in Bielefeld passieren? Sportamtsleiter Fritz Kölling und Horst-Dieter Knüppel, Sprecher der Bielefelder Fußballvereine, winken ab: »Hier ist in Jahrzehnten nichts passiert.«
Die Vereine kaufen beim BCB, dem Baustoff-Centrum Bielefeld am Werningshof. »Zu 90 Prozent verlangen sie unsere ÝSportplatzkreideÜ. Das ist reines Kalziumkarbonat - ein Naturprodukt«, sagt Karl-Heinz Daake, Leiter des Baustoffverkaufs im BCB. »Einige wenige Kunden mischen die Kreide mit gelöschtem Weißfeinkalk.«
Allgemeine Vermutung: In Hiddenhausen wurde wohl das falsche Material gestreut. Aber welches? Das Wort hat der Chemiker:
- Kalkstein (Kalziumkarbonat; CaCO3) wird entsäuert, das heißt, man entzieht ihm Kohlensäure (CO2). So entsteht Kalziumoxid (CaO) - der ungelöschte oder gebrannte Kalk.
- Bei Zugabe von Wasser (H2O) entsteht unter Abgabe von Wärme Kalziumhydroxid (Ca[OH]2) - gelöschter Kalk.
- Ca(OH)2 bindet mit Feuchtigkeit und Kohlensäure wieder zum Ausgangsprodukt, zu Kalkstein, ab - der Kreislauf ist beendet.
Ungelöschter Kalk (Kalziumoxid) ist eine aggressive, stark ätzende Lauge, die folglich für Rasenmarkierungen nicht in Frage kommt. Wenige jedoch wissen, dass auch das Kalziumhydroxid weiter reagiert, wenn es nur feucht genug ist. Wie am Samstag in Hiddenhausen.
Das dortige Unglück scheint kein Einzelfall zu sein. In den »Festlegungen zum Spielbetrieb 2005/06« erklärt der Sächsische Fußball-Verband (unter Verwendung nicht mehr gebräuchlicher Schreibweisen): »Immer noch werden Unfälle mit Schäden, insbesondere der Schleimhäute, durch Verwendung ungeeigneter Spielfeldmarkierungsmittel registriert. Aus gegebenem Anlass muss darauf hingewiesen werden, dass auch bei Verwendung des gelöschten Kalks bzw. des Calcium-Hydroxyds (CaOH2) von diesem Material Gefahren ausgehen können. Dieser gelöschte Kalk setzt sich unter Einwirkung von Spurenfeuchtigkeit und Luftkohlensäure zu Calcium-Carbonat um. Wenn diese Umsetzung nicht voll abgeschlossen ist, wirkt der mit Wasser reagierende gelöschte Kalk (als wässrige alkalische Lösung) stark ätzend.«
Empfehlung der Sachsen: das nicht mehr reaktionsfähige Kalziumkarbonat verwenden. Neun von zehn Bielefelder Vereinen tun das. Aber eben nicht alle . . .

Artikel vom 30.05.2006