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Koalition streitet über Hartz IV

Entscheidung über weitere Maßnahmen gegen Kostensteigerung im Herbst

Berlin (Reuters). Die große Koalition hat den Streit um einen tief greifenden Umbau der Arbeitsmarktreform Hartz IV in einer Spitzenrunde nicht gelöst und das Thema auf den Herbst vertagt.

Die Unions-Führung konnte sich in der Sitzung des Koalitionsausschusses nicht mit der Forderung durchsetzen, die Regelungen von Grund auf zu überarbeiten und damit den rasanten Kostenanstieg zu bremsen. Es sei vereinbart worden, neben den bereits beschlossenen Nachbesserungen für ein härteres Vorgehen gegen Missbrauch im Herbst weitere Neuerungen auf den Weg zu bringen, sagte Kanzlerin Angela Merkel gestern in Berlin. »Es wird also einen zweiten Schritt einer grundlegenden Überholung geben.«
Dabei sollten die Teilbereiche Unterkunftskosten und Zuverdienstmöglichkeiten für die Langzeitarbeitslosen sowie die organisatorische Umsetzung auf den Prüfstand gestellt werden.
SPD-Chef Kurt Beck räumte zwar Korrekturbedarf ein, widersprach aber der Darstellung, dass die Kosten für Hartz IV ausuferten. »Es gibt keinen Grund, Horrorszenarien zu verbreiten.«
Merkel wandte sich gegen Forderungen aus den eigenen Reihen nach Kürzungen bei der Grundförderung für Langzeitarbeitslose. Es gehe nicht um diejenigen, die sich an die Hartz-IV-Regeln hielten, sondern um diejenigen, die sich in einer Kombination aus Arbeitslosengeld II und Schwarzarbeit eingerichtet hätten und Beschäftigungsangebote immer wieder ablehnten.
Die Spitzenrunde der Koalition verabredete am Sonntagabend, zunächst nur die Pläne von Arbeitsminister Franz Müntefering zur Fortentwicklung der Hartz-IV-Reform umzusetzen. Das Gesetz soll in dieser Wahlperiode Einsparungen von bis zu 3,5 Milliarden Euro bringen, unter anderem durch eine härtere Bekämpfung von Missbrauch. So soll etwa bei Neuzugängen zum Arbeitslosengeld II die Arbeitsbereitschaft mit einem »Sofortangebot« für eine Beschäftigung oder Qualifizierung getestet werden. Die für den Herbst geplanten Verhandlungen über weitere Änderungen sollen von einer Unions-Arbeitsgruppe unter Leitung von Fraktionschef Volker Kauder vorbereitet werden. Dabei müsse auch die Förderung der Arbeitslosen im Mittelpunkt stehen, sagte Merkel. Die Neuerungen sollten zusammen mit den dann erwarteten Vorschlägen von Müntefering für ein Kombilohn-Modell mit Staatszuschüssen für Geringverdiener beratschlagt werden. Merkel wollte sich nicht dazu äußern, welches Sparvolumen mit der weiteren Überarbeitung von Hartz IV erzielt werden soll.
Auf Unionsseite sprachen Teilnehmer der Koalitionsrunde von einer unerfreulichen Sitzung, bei der sich die SPD-Vertreter stur gezeigt hätten. CSU-Chef Edmund Stoiber riet den Sozialdemokraten, die größere Veränderungen an der Hartz-Reform ablehnen, die Warnung von Finanzminister Steinbrück (SPD) zu beachten, wonach sich Hartz IV zum Haushaltsrisiko von großer Sprengkraft entwickle. Die Folgen kosteten den Staat aktuell 28 Milliarden Euro statt der geplanten 14 Milliarden. Der bayerische Ministerpräsident pochte auf eine Generalrevision.
Beck warnte vor einer Dramatisierung der Kostenentwicklung. »Von einer ungeordneten Situation kann keine Rede sein«, sagte Beck in Berlin. Vielmehr bringe der gesamte Arbeitsmarkt derzeit eher positivere Zahlen als erwartet, selbst wenn man die höheren Aufwendungen für Hartz IV einbeziehe. »All diese Fundamentalkritik, die da geübt wird, die zieht an dieser Entwicklung vorbei.« Müntefering lehnte Kürzungen und regionale Staffelungen beim Arbeitslosengeld II ab, die Stoiber verlangt hatte. SPD-Präsidiumsmitglied Ludwig Stiegler betonte, bei den Unions-Forderungen nach einer Generalüberholung von Hartz IV handele es sich offenbar um einen Tarnmantel für Sozialabbau. »Dafür stehen wir nicht zur Verfügung.«

Artikel vom 30.05.2006