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Linus ist kein Feigling mehr
Die Sache mit der Geisterbahn ist eigentlich ganz einfach
Habt ihr auch vor irgend etwas Angst? Manchmal kann man sie überwinden. Wie beispielsweise Linus. Aber lest mal selbst.
Jonas und Linus stehen auf der Kirmes vor der Geisterbahn. Ein grünes Plastikmonster, das an der Wand hängt, wackelt mit den Augen. Vor dem Eingang steht ein Skelett.
»Hereinspaziert!«, sagt es mit gruseliger Stimme und klappert dazu mit dem Unterkiefer.
»Wetten, dass du dich nicht traust, durch die Geisterbahn zu fahren!«, sagt Jonas zu seinem kleinen Bruder Linus und lacht, weil dieser bisher immer zuviel Angst davor gehabt hat.
Jonas hat ihn deshalb einen Feigling genannt. Heute aber will Linus es seinem großen Bruder zeigen.
»Doch! Ich bin sogar viel mutiger als du denkst«, sagt Linus trotzig, »Ich fahre nämlich ganz alleine!«
Fest entschlossen geht Linus zur Kasse und lässt Jonas zurück. Der bekommt den Mund gar nicht mehr zu, weil er nicht glauben kann, dass Linus tatsächlich alleine in die Geisterbahn geht.
Linus sieht zwar jetzt ganz mutig aus, in ihm drin ist es aber ganz anders. Sein Herz pocht laut und fest und seine Knie fühlen sich wie Wackelpudding an. Aber er ist froh, dass Jonas nicht mitgehen möchte. Ansonsten würde sein Plan nicht funktionieren.
Linus hat sich zu Hause nämlich alles ganz genau überlegt. Sobald er mit dem Waggon in den dunklen Gruseltunnel gefahren ist, kneift er seine Augen zu. Er will nichts von Gespenstern, Spinnen oder Vampiren sehen. Er will auch nichts von diesen Gruselgeräuschen hören. Deshalb hält er sich die Ohren zu.
Ab und zu blinzelt Linus während der Fahrt ein bisschen, damit er den Ausgang rechtzeitig erkennt. Als er das Licht sieht, nimmt er schnell seine Hände von den Ohren und öffnet die Augen wieder. Schließlich soll Jonas nicht sehen, dass er ein bisschen gemogelt hat.
Als Linus wieder bei seinem Bruder steht, strahlt er und sagt: »Na, das war ja alles andere als schlimm.«
Jonas schluckt und weiß nicht so recht was er sagen soll.
»Na dann fahre ich jetzt auch mal alleine«, antwortet er mit leiser Stimme.
Dabei ist ihm allerdings nicht so wohl zu Mute. Aber wenn sein kleiner Bruder es gewagt hat, alleine zu fahren, dann muss er es ebenfalls tun.
Linus beobachtet, wie Jonas mit etwas blassem Gesicht in dem Gruseltunnel verschwindet.
Er wartet einige Zeit und als er an der Ausfahrt den roten Wagen erkennt, mit dem Jonas losgefahren ist, muss er ein bisschen schmunzeln. Da sitzt nämlich sein großer Bruder mit zugekniffenen Augen und Händen vor den Ohren drin und sieht gar nicht mehr so mutig aus, wie er immer tut.
Linus lächelt, denn er weiß, dass Jonas ihn nach dieser Fahrt bestimmt nie wieder einen Feigling nennen wird.

Artikel vom 10.06.2006