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Die deutschen Soldaten werden sich der neuen Dimension der Gewalt nicht entziehen können.

Leitartikel
Afghanistan

Sprengsatz
abseits
des Terrors


Von Dirk Schröder
Mehr als vier Jahre lang lag der Einsatzschwerpunkt der Bundeswehr am Hindukusch in der afghanischen Hauptstadt Kabul. Heute übernehmen die deutschen Streitkräfte das Kommando über die internationale Schutztruppe ISAF in Nordafghanistan. Der Start in Masar-i-Scharif, 400 Kilometer von Kabul entfernt, steht unter einem ganz schlechten Vorzeichen. Die schweren Ausschreitungen vom Wochenanfang sind ein Alarmsignal, das bis in das deutsche »Camp Marmal« nachhallen wird.
Schon bisher war der Auftrag der Bundeswehrsoldaten am Hindukusch alles andere als ungefährlich. Doch die Unruhen haben alle, die das Land schon auf dem Weg zu einem demokratischen Staat sahen, auf brutale Art und Weise auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt.
Die Situation in Afghanistan steht - wieder einmal - auf des Messers Schneide. Die westliche Politik muss endlich aufhören, sich die Entwicklung schönzureden. Afghanistan ist noch längst nicht dort, wo man das Land gern sehen würde. Vielmehr droht es wieder im Chaos zu versinken. Dann aber endgültig und mit all den negativen Folgen, die diese Terror-Brutstätte auch auf die westlichen Staaten hätte.
Die Lage in Kabul war gestern wieder ruhig, doch niemand sollte deswegen zur Tagesordnung übergehen. Denn die Explosion der Gewalt, ausgelöst durch einen Unfall, wie er häufig in der afghanischen Metropole passiert, war mehr als ein spontaner Ausbruch der Wut auf die verhassten Amerikaner. Ohne Zweifel, die anfangs als Befreier gefeierten US-Soldaten haben in der Folge vieles falsch gemacht. Statt rücksichtsvoll und aufmerksam mit den Menschen in Afghanistan umzugehen, haben sie allzu häufig unsensibel agiert. Fehler, die sich dort wie auch im Irak jetzt rächen.
Doch dies ist nur die eine Seite der Medaille. Im Augenblick nützt es auch der Bundeswehr wenig, dass sie sich nach den Regeln des Landes verhalten hat. Auch die deutschen Soldaten werden sich der neuen Dimension der Gewalt nicht entziehen können.
So gefährlich die Terroristen mit ihren heimtückischen Anschlägen sind und auch in der Vergangenheit immer waren: Der weitaus größere Sprengsatz liegt in der Unzufriedenheit der Bevölkerung über ihre wirtschaftliche Lage. Der scharfen Kritik des Bundeswehrverbandes ist doch zuzustimmen: Für den Einsatz in Afghanistan fehlt ein wirklich schlüssiges Konzept. Notwendige Aufgaben wie die Drogenbekämpfung werden eher links liegengelassen, die Lebensverhältnisse der Menschen nicht wirklich verbessert.
Da muss sich niemand wundern, dass die wiederstarkten Taliban zunehmend Zulauf und Unterstützer finden. Man wird den Verdacht nicht los, so mancher in das Land gepumpte Euro versickert irgendwo.
Es wird Zeit, dass die Politik ihre Hausaufgaben macht. Dass dies bisher nicht geschehen ist, muss die Bundeswehr ausbaden - mit einer erhöhten Gefährdung.

Artikel vom 01.06.2006