15.06.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

50 Feueralarme am
Tag sind normal

Ein Brückenbesuch auf der »MS Vistamar«

Von Thomas Albertsen
La Valletta (WB). ISPS als Totschlagsargument: Immer mehr Reedereien nehmen die Sicherheitsbestimmungen auf See zum Anlass, den Passagieren ihrer Kreuzfahrtschiffe eine Brückenbesichtigung zu verweigern. Dass es auch anders geht, zeigt der deutsche Veranstalter »Plantours« an Bord der unter maltesischer Flagge fahrenden »MS Vistamar«.

Früher hatten die Gäste - wie auch auf Expeditionsschiffen - 24 Stunden lang unbeschränkt Zutritt zum Arbeitsplatz des Kapitäns. Nun ist die Brücke hermetisch verschlossen, doch Kreuzfahrtdirektor Konstantin Patschke lädt täglich ein paar angemeldete Interessenten zu einer Visite ein.
Einen Traum aus Messing wie einst auf der historischen »Queen Mary« erleben die Kreuzfahrer indes im Allerheiligsten nicht. Den Kapitän von heute erwartet ein moderner, nüchterner Arbeitsplatz. Doch ein klassisches Ruder ist noch vorhanden - und sogar ein Morsetaster. Der ist Pflicht, obwohl Telefon, Funk und natürlich auch E-Mail-Verkehr an Bord längst Alltag sind. Die Kommunikationseinrichtungen und die Schalter für das Nebelhorn liegen im äußersten linken Bereich der Arbeitskonsole, die das Herz des Schiffes bildet.
Geht man weiter Richtung Steuerbord, so folgt als nächstes das Steuerpult für die Stabilisatoren. 80 Prozent seitlicher Rollbewegungen können damit ausgeglichen werden, Wellen hingegen überhaupt nicht. Die Flügel, die seitlich aus dem Bug herausgefahren werden können, stehen in dem Ruf, Seekrankheit verhindern oder wenigstens mildern zu können. Ein Gerücht, das sich zwar hartnäckig hält - doch dadurch wird es nicht richtiger. Fakt ist: Die Stabilisatorentechnik, seit etwa 30 Jahren im Einsatz, wurde entwickelt, weil Passagier- und Containerschiffe immer höher gebaut werden. Diese bieten dem Wind immer größere Angriffsfläche. Die Stabilisatoren helfen, den Kurs des Schiffes zu stabilisieren - zu keinem anderen Zweck wurden sie entwickelt. Unterstützt werden sie von »Flügeln« an den Schornsteinen des Schiffes.
Im Zentrum der Brücke wird das Ruder von zwei Radarschirmen flankiert. Es handelt sich um das sogenannte Antikollisionsradar, denn es berechnet den Kurs aller Schiffe in seinem Einflussbereich und ist daher ein unverzichtbares Hilfsmittel. Natürlich warnt es auch vor Eisbergen, ist die »MS Vistamar« in der Arktis oder Antarktis unterwegs. Stellt man das Radar empfindlich ein, kann es sogar die Schaumkronen bei bewegter See reflektieren.
Grundsätzlich können der Kapitän und seine Offiziere auch ohne elektrische Geräte navigieren. Selbst wenn der Strom ausfällt, können sie jederzeit anhand der Seekarten und mit optischen Instrumenten die Position berechnen und das Schiff auch entsprechend steuern.
Wie in Flugzeugen seit langem üblich, verfügen auch Schiffe über eine »Blackbox«, die in einer Endlosschleife die Gespräche der vergangenen Stunden auf der Brücke ebenso festhält wie die Navigation und technische Daten. Die Festplatte befindet sich jedoch nicht auf der Brücke, sondern wasserdicht verschlossen am Oberdeck, so dass sie im Falle eines Unglücks leichter geborgen werden kann.
Die Brücke ist auch die Sicherheitszentrale des Schiffes. Konstantin Patschke: »Kein Passagier bekommt etwas davon mit, dass durchschnittlich 50mal am Tag ein Feueralarm auf der Brücke ertönt. Der kann wegen einer dampfenden Suppe aus der Küche kommen, aber auch aus den Kabinen, wenn jemand unter dem Rauchmelder eine Zigarre qualmt, sich die Haare einsprüht oder ausdauernd heiß duscht.« Bevor Sirenenalarm ausgelöst wird, inspiziert die Besatzung den Ort des ausgelösten Alarms. Auch wenn es stets ein Fehlalarm ist: Die Sensoren müssen sehr sensibel sein, damit ein eventueller Brand in seinem frühesten Stadium bemerkt wird. In der Küche und im Maschinenraum würde im Ernstfall durch CO2 gelöscht, an allen anderen Orten herkömmlich mit Wasser. Dieses muss jedoch wohldosiert eingesetzt werden. Denn zuviel Löschwasser würde das Gewicht des Schiffes so erhöhen, dass es sinken könnte. Konstantin Patschke: »So war es seinerzeit an Bord der ÝAchille LauroÜ, die nach einem Feuer sank.«

Artikel vom 15.06.2006