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Rückschau auf das große Ganze

Das Berliner Zeughaus zeigt Zeugnisse deutscher Geschichte

Von Reinhard Brockmann
Berlin (WB). Die Legionärsmaske aus der Varusschlacht kommt leihweise, Hitlers Schreibtisch und Napoleons Zweispitz bleiben auf Dauer. Am Wochenende beginnt in Berlin die Großschau »Zeugnisse deutscher Geschichte« mit Exponaten aus 2000 Jahren.

»Wo liegt Deutschland?«. Kein Scherz: Die Leitfrage Nummer eins ist berechtigt und wird nicht einmal abschließend beantwortet.
Deutsche von heute orientieren sich an der Wetterkarte. Vor 2000 Jahren markierte der römische Grenzwall Limes in etwa jene zwei Hälften, die 1500 Jahre später zeitweise zwischen katholisch und protestantisch trennte. Während der Pestzeit (25 Millionen Tote) und im Dreißigjährigen Krieg (elf Millionen Tote) wären die Deutschen fast ausgerottet worden. Gerade eben sinkt die Zahl der seit Generationen Ansässigen wieder, sorgt eine neue Form der Völkerwanderung für tagespolitischen Disput.
2006 wird der Kraftakt gewagt, noch vor der Wende fanden allererste Vorüberlegungen im Bonner Kanzleramt statt: Deutschland präsentiert sich und seine Geschichte im Deutschen Historischen Museum. In den Räumen des historischen Zeughauses »Unter den Linden« 2 in Berlin öffnen sich an diesem Samstag die Türen zur möglicherweise wichtigsten Ausstellung der nationalen Gegenwart. Das große Ganze präsentiert sich in einem Gebäudekomplex, in dem die gesamte museale Vielfalt von der Vitrine bis zur Internet-Ausstellung Zug um Zug aufgebaut wurde.
Auf 7500 Quadratmetern Fläche vermitteln 8000 Exponate, überwiegend aus den hauseigenen Sammlungen mit häufig einmaligem historischen Zeugniswert, ein lebendiges Bild der Vergangenheit.
Die Ausstellung gliedert sich in zwei Rundgänge. Im Obergeschoss des Zeughauses wird die Zeit vom ersten Jahrhundert nach Christus bis zum Ende des Kaiserreiches 1918 dargestellt, das Erdgeschoss umfasst die Geschichte der Weimarer Republik, des NS-Regimes, der Nachkriegszeit und der beiden deutschen Staaten bis zum Abzug alliierter Trppen 1994.
Bei den Ausstellungsobjekten handelt es sich, so Kurator Hans-Jörg Czech, um aussagestarke Gegenstände aus nahezu allen Bereichen des historischen Erbes: Dokumente, zahlreiche prächtige Gemälde und andere Hochkunst, Bücher, Plakate, Textilien, Möbel, Maschinen, auch Alltagskultur sowie vieles andere mehr. Allein von Lenbachs Bismarck-Gemälde sowie Napoleon I. im Original sind den Besuch wert. Dabei kann nicht jede Geschichte erzählt werden, die den Objekten anhängen. Historisch unterhaltsam präsentiert sich etwa jener Zweispitz des großen Feldherrn Napoleon, den sich Gegenspieler General Fürst Blücher von Wahlstatt als Siegeszeichen angelte. Die Kopfbedeckung soll direkt aus jener Karosse gefischt worden sein, die der Franzose in Waterloo zurücklassen musste...
Bei aller Verlockung zum Histörchen bleibt die nüchterne Leitidee: Exponate dienen nicht zur bloßen Illustration der geschichtlichen Ereignisse, vielmehr sollen sie als »eigenwertige Geschichtszeugnisse, ausgehend von ihrem jeweiligen Zeugnischarakter« stehen. Die Exponate werden erläutert und jedermann verständlich in einen Zusammenhang gestellt.
Auf dem Weg durch zwei Etagen des Zeughauses entstehen greifbare Horizonte des historischen Umfeldes und der Abläufe davor. Gezeichnet werde nicht nur ein deutschlandzentriertes Bild, betonen die Auststellungsmacher, »sondern durchgängig eine Darstellung von deutscher Geschichte im europäischen Kontext, die die vielfältigen Vorgänge des Austausches und der politischen wie auch kulturgeschichtlichen Vernetzung mit den Nachbarstaaten berücksichtigt«.
Das Deutsche Historische Museum ist mit seinen Sonderausstellungen längst Tag für Tag Anlaufpunkt tausender Berlinbesucher. Die Dauerausstellung macht das Zeughaus zum Pflichtprogramm.

Artikel vom 31.05.2006