30.05.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Die Zukunft muss erst noch warten

In der »10A1L« haben nur fünf eine Lehrstelle - Ein Beispiel für die Situation in Bielefeld

Von Michael Schläger
und Hans-Werner Büscher (Foto)
Bielefeld (WB). 15 Schüler hat die Klasse »10A1L« der Brodhagenschule in Gellershagen. Und drei Gastschüler, weil deren Mitschüler zurzeit auf Klassenfahrt sind. Fünf der 18 Jugendlichen haben am Ende ihrer Schulzeit eine Lehrstelle sicher. Beinahe schon ein hervorragender Schnitt für eine Abschlussklasse, in der sich ausschließlich Schüler befinden, die den normalen Hauptschulabschluss machen.

Kurz vor Ende des Schuljahres sieht es auf dem Bielefelder Ausbildungsmarkt düster aus. »In der Stadt Bielefeld und im Altkreis Halle suchen zurzeit 2017 Jugendliche ein Lehrstelle«, sagt Dr. Armin Barthel, stellvertretender Leiter der Arbeitsagentur Bielefeld. »Aktuell haben wir aber nur 504 Lehrstellenangebote.«
Viermal mehr Bewerber als Stellen - das ist ein Verhältnis, das Barthel und seine Kollegen schon seit Herbst vergangenen Jahres begleitet, als erstmals die Statistik für das Ausbildungsjahr 2007 aufgemacht wurde. Und dieses 4-zu-1-Verhältnis findet sich beinahe auch in der »10A1L« wieder.
Das Gros der jungen Männer und Frauen wird auch nach dem Abschluss weiter die Schulbank drücken müssen oder ein praktisches Jahr an einem der Bielefelder Berufskollegs verbringen. Die Kollegs sind längst zum Auffangbecken der jungen Leute ohne Ausbildungsstelle geworden.
Die Stadt hat reagiert. Sie will künftig die »Berufsfachschule plus« anbieten, eine berufliche Ausbildung, die zwei Jahre lang an den Berufskollegs sowie ein Jahr in Betrieben stattfindet und mit ordentlichen Kammer-Prüfungen abschließt. Daneben gibt es die Werkstattjahre an den Kollegs, die die Ausbildunsgfähigkeit der Jugendlichen steigern sollen.
Lehrerin Isabell Burkheiser lässt auf ihre »10A1L« nichts kommen. »Alle sind motiviert und wollen die Zukunft anpacken«, sagt sie. Das »L« in der Klassenbezeichnung steht für »Langzeitpraktikum«. Die Jugendlichen haben vier Tage in der Woche Unterricht, einen Tag arbeiten sie in einem Betrieb. Und das hat manchmal positive Effekte. Bei Feride (18) zum Beispiel. Sie absolviert ihr Langzeitpraktikum in der Kinderabteilung des »Kaufhof« - und kann dort jetzt auch eine Lehre machen.
»Mit dem Langzeitpraktikum wollen wir die praktisch orientierten Schülerinnen und Schüler ansprechen«, sagt »Brodhagen«-Rektor Jürgen Hollmann. In jedem Jahrgang wird differenziert. Es gibt eine spezielle Sprachförderung, aber auch die Förderung besonders leistungsfähiger Schüler, die am Ende mit der Fachoberschulreife die Hauptschule verlassen. Manche von ihnen wechseln dann auch zum Gymnasium.
Doch das sind nur wenige. Die meisten Absolventen verlassen die Hauptschule ohne klare Perspektive, obwohl alle ihre Berufswünsche haben. Die sind in der »10A1L« nach Geschlechtern getrennt. Die meisten Mädchen wollen Einzelhandelskauffrau werden, die Jungs zieht's als Mechatroniker in die Autowerkstatt.

Artikel vom 30.05.2006