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Gruppe G: Schweiz, Südkorea und Togo

Vater Kuhn lässt seine »Kinder« kicken

Zwei Trainer- Legionäre: Der Deutsche Otto Pfister trimmt Neuling Togo - Dick Advocaat aus den Niederlanden kommt mit Südkorea.


In Bern, Zürich oder Genf, da heißt die Elite-Auswahl liebevoll nur die »Nati«. Jahrelang waren die Schweizer allerdings nicht sonderlich stolz auf ihre Mannschaft, die die Nation bei den WM-Turnieren 1998 und 2002 nicht vertreten durfte.
Aber jetzt ist alles anders. Wie die »Helden« wurden sie gefeiert, als sie sich in der heißen Relegation gegen die Türkei durchsetzen konnten. 2:0 zu Hause, 2:4 in Istanbul. Das reichte.
Es reichte allerdings auch, was nach dem Spiel passierte. Solche Jagdszenen in einem Fußball-Stadion will Joseph S. Blatter nie mehr sehen, sonst: »Dann kann ich nur noch sagen: Gute Nacht, Fußball.« Blatter ist der mächtige Präsident des Weltverbandes (FIFA) - und auch Schweizer.
Er gehört natürlich dazu, wenn sie alle die Daumen drücken werden bei der WM. Blatters Prognose: »Unsere junge Mannschaft kann für Überraschungen sorgen.« Denn dieses Team wurde über einen langen Zeitraum gezielt aufgebaut. Nachwuchsarbeit, die sich jetzt immer mehr auszahlt.
Der Mann, der sie spielen lässt, heißt Jakob »Köbi« Kuhn. Früher selbst ein erstklassiger Profi, heute ein routinierter Bankfachmann. Der 62-Jährige setzt dabei vor allem auf Spieler, die in Deutschland ihr Geld verdienen. Gleich sieben Bundesliga-Legionäre hat er nominiert: »Ich glaube, die Mischung in meiner Truppe stimmt«, sagt Kuhn, der für die Auserwählten wie eine Vater-Figur ist: nie hektisch, manchmal streng, aber immer mit einem Herz für seine kickenden »Kinder«.
Kuhn nähert sich dem Rentenalter, Kollege Otto Pfister hat diesen Status schon längt erreicht - er ist aber immer noch am Ball. 68 und kein bisschen müde. Als Togo sich unter der Regie des Nigerianers Stephen Keshi erstmals für eine WM-Endrunde qualifizieren konnte, dann aber bei der Afrika-Meisterschaft enttäuschte, schlug Pfisters Stunde.
Keshi musste die Bank räumen, der Deutsche rückte nach. Nur 111 Tage vor dem Anpfiff. Für einen Fußball-Weltenbummler wie Pfister, der auch schon in Bangladesch oder Ruanda Steilpässe üben ließ, aber nie einen Verein in seiner Heimat betreut hatte, überhaupt kein Problem: »Mir reichen ein paar Wochen Vorbereitung. Alles andere ist sowieso maßlos übertrieben.«
Immerhin: Pfister war mit seiner Auswahl der erste WM-Teilnehmer, der in Deutschland Quartier bezog. In Wangen im Allgäu trimmt er seine Elf: »Wir sind in unserer Gruppe der große Außenseiter. Doch diese Rolle gefällt mir. Hoffentlich unterschätzen sie uns alle.«
Einen ganz bestimmt nicht: Emmanuel Adebayor schoss Togo in der Qualifikation mit neun Toren in die Endrunde. Inzwischen steht er bei einem europäischen Spitzenverein unter Vertrag: Trainer Arsene Wenger setzt ihn beim FC Arsenal allerdings nur als »Joker« ein, doch Pfister ist überzeugt: »Der Junge wird sich in England behaupten. Er ist ein Ausnahmetalent. Dafür habe ich einen Blick.«
Die richtige Sicht der wichtigen Dinge auf dem Rasen, die hat ihn einst Hennes Weisweiler gelehrt. Pfister stürmte in den fünfziger Jahren für Viktoria Köln, Weisweiler gab die Kommandos - und der junge Otto hatte immer besonders gut zugehört. Heute gibt Pfister bei Togo den Ton an.
Ob die Südkoreaner den Niederländer Dick Advocaat (58) verstehen? Denn das ist der zweite Trainer-Legionär, der in der Gruppe G mit seiner Mannschaft den favorisierten Franzosen und den ehrgeizigen Schweizern ein Bein stellen möchte. »Wir können es schaffen, wir können die nächste Runde erreichen«, ist Advocaat von seiner Auswahl überzeugt, die er so einschätzt: »Uns fehlt vielleicht die individuelle Klasse, aber mental und physisch sind wir auf einem sehr, sehr hohen Niveau.«
Der Trainer tritt ein schweres Erbe an. Denn vor vier Jahren, bei der ersten WM in Asien, saß ebenfalls ein Niederländer auf der Bank von Südkorea. Guus Hiddink führte die Mannschaft sensationell auf Platz vier. Adovcaat kennt seinen Auftrag: »Wir werden bestätigen, dass dieses erstklassige Turnier kein Zufall war.«
Aus der deutschen Bundesliga steht nur ein Kicker in seinem Aufgebot: Jung Hwan Ahn vom Absteiger MSV Duisburg. Und ein Bundesliga-Absteiger war ja auch Advocaat schon: Sein Engagement bei Borussia Mönchengladbach wurde vorzeitig beendet.
Eine Entlassung, die der Niederländer längst abgehakt hat: »Das Kapitel ist abgeschlossen. Jetzt darf ich bei der WM eine Mannschaft betreuen, das ist doch eine viel größere Herausforderung.« Im rauen Schottland bereitet Advocaat seine Auswahl vor. Ein Klima, das zu diesem Mann passt: Er gilt als stur und autoritär.
Egal wie die WM für Südkorea ausgeht - danach wird er in jedem Fall die Bank räumen. Einen gut honorierten Anschluss-Vertrag hat Advocaat schon: Er heuert in Russland an. Zenit St. Petersburg soll ihm 1,5 Millionen Euro pro Jahr zahlen.

Ein Beitrag von
Klaus Lükewille

Artikel vom 02.06.2006