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Gruppe A: Polen

Die Last der 70er Jahre

Die Polen schwelgen in Erinnerungen: 1972 holten sie in Deutschland olympisches Gold, 1974 wurden sie WM-Dritter. Die Fußball-Gegenwart scheint aber hinter der Vergangenheit zurück zu bleiben. 2006 läuft es nicht rund.


Als »sehr merkwürdig« bezeichnete ein polnisches Sportmagazin ein Trainingslager, bei dem zunächst nur zehn Spieler erschienen waren. Eine große Tageszeitung schrieb: »Trainer Pawel Janas weiß nicht, was er tun soll.« Es folgten ein mühsames 2:1 gegen Saudi-Arabien, ein 0:1 gegen Litauen und ein 4:0 gegen Färoer-Inseln.
Dass Janas für den mit Herzproblemen ausgemusterten Mittelfeldspieler Damian Gorwaski den Ex-Nürnberger und Innenverteidiger Bartusz Bosacki nachnominierte, deutet darauf hin, dass der Trainer die schwache Abwehrformation nochmals überdenkt.
Wie in Deutschland gab es auch in der polnischen Torwartfrage eine überraschende Antwort: Janas strich Jerzy Dudek vom FC Liverpool aus dem Kader, klare Nummer eins im Kasten ist seitdem Artur Boruc von Celtic Glasgow. In der Startelf könnten zwei Bundesligaprofis stehen: Leverkusens Jacek Krzynowek im linken Mittelfeld und Dortmunds Euzebiusz »Ebi« Smolarek als zweiter Stürmer neben dem gesetzten Maciej Zurawski oder im Mittelfeld.
»Wir wollen auf jeden Fall das Achtelfinale erreichen. Was danach kommt, gleicht einer Lotterie«, sagte Grzegorz Lato, 55-jähriger polnischer Rekordtorjäger und WM-Botschafter, dieser Zeitung. Der 74er-Torschützenkönig weiß, dass es nach der Vorrunde schwierig wird: England oder Schweden heißen die möglichen Gegner. Janas knüpft seine Zukunft eng an den Erfolg: »Wenn wir schlecht spielen, gibt es keine Gnade.«
Die Polen können mit großer Unterstützung in Deutschland rechnen. Das erste öffentliche Training am Mittwoch im niedersächsischen Barsinghausen war ausverkauft: 3000 Fans kamen. Und wenn es zum Duell mit Deutschland am 14. Juni in Dortmund kommt, werden wohl mehr Polen-Fans im Stadion sein, als der Verband Karten bekommen hat. 5200 waren es. Schätzungsweise 300 000 Polen wollen zur WM über die Grenze reisen - was 1974 noch nicht möglich war. Nicht abschätzbar ist, wie groß die Sorge vor den polnischen Hooligans sein muss.
Wegen des Todes des legendären Erfolgstrainers Kazimierz Górski hat der polnische Verband bei der FIFA beantragt, alle Partien mit Trauerflor zu spielen. Górski hätte die WM gerne miterlebt, sagte Lato. Vielleicht gelingt es der Elf der Gegenwart doch, an die Erfolge der Vergangenheit anzuknüpfen.

Ein Beitrag von
Lars Rohrandt

Artikel vom 02.06.2006