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Fortsetzung von Seite 3: Die Abwehrlöcher müssen noch gestopft werden
Mittlerweile sitzt der Münchener Torwart nur noch als Nummer zwei auf der Bank. Die Kapitänsbinde nahm ihm Klinsmann schon vor längerer Zeit ab und übergab sie an Ballack, von dem wieder ähnlich viel abhängen könnte wie in Japan und Südkorea. Michael Ballack - der Dreh- und Angelpunkt im deutschen Spiel.
Zur zweiten Führungsfigur schwang sich Miroslav Klose auf. Der Bremer Stürmer profilierte sich mit besonnenen Worten und gelungenen Spielen. Einen solchen Mann hat Klinsmann für den nicht ganz unwesentlichen Mannschaftsteil Abwehr leider nicht. Dem Dortmunder Christoph Metzelder traut der Bundestrainer dies zwar zu, doch war der Borusse im Verein zu oft zweite Wahl und dann auch noch verletzt. Das macht es schwierig, die Anforderungen zu erfüllen.
Überhaupt hinten: Da will manchmal gar nichts passen. So traten die Löcher auch beim 2:2 gegen Japan auf, als der Asienmeister die Deutschen mehrfach in Verlegenheit stürzte. Auch der zur Sicherheit für die WM reaktivierte Leverkusener Jens Nowotny vermochte zumindest in dieser Partie rein gar nichts daran zu ändern.
Kam die Nominierung des 32 Jahre alten Routiniers trotzdem nicht überraschend, ließen andere Namen aufhorchen. Als Klinsmann am 15. Mai die Katze aus dem Sack ließ, entschlüpfte ihm auch David Odonkor. Der 22 Jahre alte Rechtsaußen von Borussia Dortmund hatte seine Koffer schon gepackt - für die EM-Endrunde der U 21-Junioren in Portugal. Stattdessen änderte sich das Reiseziel in Sardinien, wo er mit der A-Nationalelf das Regenerations-trainingslager absolvierte.
Odonkor kommt aus Bünde im Kreis Herford, verabschiedete sich jedoch schon in jungen Jahren zum BVB. Natürlich ist ihm klar, dass er zunächst einmal in der dritten WM-Reihe steht hinter jenen, die spielen und denen, die zu den ersten Einwechsel-Optionen gehören. Aber man weiß nie, was alles passiert bei der WM. »Wir sind überzeugt, dass David uns helfen kann. Er ist schnell, dribbelstark und kann bis zur Grundlinie gehen«, beschreibt Klinsmann die Qualitäten des Profis.
Als der Bundestrainer ihn anrief, dachte Odonkor auch Stunden später noch, sich in einem Traum zu befinden. Für Kevin Kuranyi stimmte das sogar. Es handelte sich jedoch um einen Albtraum. Der Schalker Stürmer, sein Klubkollege Fabian Ernst und der Bremer Patrick Owomoyela bildeten das Trio der Traurigen. Ausgemustert vom Bundestrainer, nur noch WM-Zuschauer. Kuranyi räumte ein, eine schlimmere Stunde in seiner Karriere noch nicht erlebt zu haben, während es der ehemalige Armine Owomoyela mit Fassung trug: »Zum Alkoholiker werde ich deswegen bestimmt nicht.«
Trotzdem macht die Verbannung dieser Drei deutlich, dass eine Fußball-Weltmeisterschaft niemals ohne schwere Stunden und Härtefälle auskommt. Zumindest im Fall Kuranyi blieb die Personalplanung des Bundestrainers auch fragwürdig. Stattdessen nimmt Klinsmann den Wolfsburger Mike Hanke mit, der aber in den ersten 180 Minuten der WM wegen seiner Sperre vom Confed Cup noch gar nicht eingesetzt werden darf. Alle umstrittenen Entscheidungen betrafen jedoch Spieler, die Klinsmann ohnehin nicht im ersten Glied sieht. So betrachtet änderte sich für das Gerüst der DFB-Formation gar nichts.
Zusammentreffen wird die Mannschaft am Pfingsmontag im WM-Quartier in Berlin. Bis um 15 Uhr müssen Klinsmanns Kicker im Schlosshotel Grunewald auflaufen. Das Wochenende nach dem letzten Test heute gegen Kolumbien gab der Bundestrainer noch einmal frei, letzte Besinnungspause für 23 Berufene vor dem großen Turnier, in dem sie Fußball-Deutschland repräsentieren werden. »Das ist eine große Aufgabe«, sagt Christoph Metzelder, der schon 2002 dabei war, dies allerdings nicht für vergleichbar hält: »Eine WM im eigenen Land - einige können sich noch gar nicht vorstellen, was da für ein Rummel auf sie zu kommt. Es wird alles übertreffen, was sie bis jetzt kannten.«
Allein der Medienandrang nimmt erstickende Ausmaße an, sodass sich der DFB gezwungen sah, die tägliche Pressekonferenz an einen größeren Ort zu verlegen. Sie findet nun nicht mehr in einem quartiernahen Tennisklub in Wilmersdorf statt, sondern in einem Saal des ICC. Das wird ein Trubel.
Das komplett vom Deutschen Fußball-Bund in Beschlag genommene Schlosshotel im Grunewald wird von Pfingsten an weiträumig abgesperrt. Da gibt es dann kein Durchkommen mehr. Auch hausintern dürfte es schwer fallen, zur Mannschaft vorzudringen. Die möchte auf eigenen Wunsch auch bei den Mahlzeiten unter sich bleiben und ohne Funktionäre am Tisch speisen. Nur die Spiele sind keine geschlossene Veranstaltung: Da ist jeder willkommen, der ganz fest die Daumen drückt.

Ein Beitrag von
Friedrich-Wilhelm Kröger

Artikel vom 02.06.2006