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gruppe e: Tschechien

Titelträume in Prag und Pilsen


Man wird ja wohl noch träumen dürfen? Platz zwei der aktuellen Weltrangliste - nur Brasilien ist besser - gibt jedenfalls in Prag, Ostrau, Pilsen oder wo auch immer in der Tschechischen Republik Anlass zu WM-Euphorie.
Zwei Mal, 1934 und 1962, war der Vorgängerstaat, die Tschechoslowakei, ja schon Vize-Weltmeister. Warum also jetzt nicht einmal den Vogel abschießen?
Bei dieser Fußball-WM, quasi vor der Haustür, will die junge Republik nun endlich auch ihr Zeichen auf der großen Sportbühne hinterlassen. Kein Geringerer als der Fußballkaiser traut dem Nachbarn eine herausragende Rolle zu. »Wenn alle Spieler gesund sind, hat die tschechische Mannschaft das Potenzial, bis ins Viertel- oder Halbfinale zu kommen. Und vielleicht noch weiter, wer weiß?«, sagte Franz Beckenbauer bei seinem Besuch in Prag - und das nicht nur aus lauter Höflichkeit.
Doch mit der Gesundheit ist das so eine Sache. Vladimir Smicer (Bordeaux) verletzte sich bereits im Trainingslager. Marcel Koller (Dortmund) muss erst noch schauen, ob er nach überstandenem Kreuzbandriss wieder zu alter Größe findet.
Sollten sie, sollten vielleicht noch weitere Säulen ins Wanken geraten, dann hätten sich alle Tschechen-Träume vermutlich schnell erledigt. Denn die Personaldecke ist dünn, und zahlreichen Stars dürfte 2006 die letzte Chance auf einen internationalen Titel bescheren: Pavel Nedved ist 33 wie Karel Poborsky und Vratislav Lokvenc. Jan Koller und Tomas Galasek sind 32.
Noch geht es nicht ohne die »Alten« - wie der Rücktritt vom Rücktritt bei Nedved zeigt. Aber die Jungen haben aufgeholt. Karel Brückner, der alte Trainerfuchs, hat den Nachwuchskräften immer mehr Verantwortung übertragen -Ê zum Beispiel Torhüter Petr Cech (Chelsea), Jaroslav Plasil (Monaco) oder den Nürnberger Jan Polak (alle noch 23 Jahre jung).
Auch für den Noch-Dortmunder und baldigen Londoner Thomas Rosicky könnte die WM zum Meilenstein seiner Karriere werden: Gelingt ihm der Schritt vom ewigen Talent zum Nedved-Nachfolger, dürften ihm in den kommenden Jahren in England alle Fußballtüren offen stehen.
All das veranlasst Josef Masopoust, Europas Spieler des Jahres von 1962, zu einer ganz klaren Ansage: »Das Viertelfinale ist unser Minimalziel.« Träumen ist in Prag und Umgebung also sogar ausdrücklich erlaubt.tip

Artikel vom 02.06.2006