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Gruppe D: Iran, Mexiko und Angola

Perser werden nicht den
roten Teppich ausrollen

Vier Länder, vier Kontinente: Die Gruppe D ist eine von nur zwei Vorrundengruppen, in denen jede Mannschaft aus einem anderen Erdteil kommt. Asiaten und Afrikaner wollen den Europäern und Amerikanern die Stirn bieten. Denn keine andere Gruppe ist ausgeglichener besetzt.


Wer sich sicher ist, dass Portugal und Mexiko die Vorrunde beide bequem meistern, könnte eine Überraschung erleben. Jedenfalls wenn es nach dem Willen des Iran geht, dessen Ziel bei der zweiten WM-Teilnahme das erstmalige Erreichen des Achtelfinales ist. Und schon ein flüchtiger Blick über den Kader verrät: Dahinter steckt mehr als ein unerfüllbarer Traum aus 1001 Nacht. Ali Karimi von den Bayern, Vahid Hashemian von Hannover 96, Mehdi Mahdavikia vom Hamburger SV und Ferydoon Zandi aus Kaiserslautern: Die vier Bundesligalegionäre sind die Gründe für den vorsichtigen Optimismus des kroatischen Trainers Branko Ivankovic: »Mexiko und Portugal sind die Favoriten. Mit taktischer Disziplin und unserer spielerischen Klasse können wir dennoch bestehen.«
Im Klartext: Die Perser werden den Portugiesen und Mexikanern nicht den roten Teppich ausrollen. Sie wollen den arrivierten Teams den Weg ins Achtelfinale so mühselig wie möglich machen. Dabei verlässt sich Ivankovic auf die Tore eines guten Bekannten: Ali Daei.
1998 hatte der heute 37-Jährige seinem Land die erste Teilnahme an einer WM-Endrunde ermöglicht. Daeis damaliger Verein: Arminia Bielefeld. Von seiner Torgefährlichkeit hat Daei nichts eingebüßt. Der Routinier war bester Torschütze in der Asien-Qualifikation zur WM 2006, traf neun Mal. Mittlerweile hat er weit mehr als 100 Länderspieltreffer erzielt, ist der aktuell erfolgreichste Torjäger der Welt. »Niemand kann Daei ersetzen«, sagt Nationaltrainer Ivankovic über den Stürmer vom iranischen Klub Saba Battery. »Mit seiner professionellen Einstellung ist er ein herausragendes Vorbild für die Jugend.«
Die Torgarantie der Mexikaner heißt Jared Borgetti. Der Angreifer der Bolton Wanderers war erfolgreichster Torschütze in der Mittelamerika- und Karibik-Qualifikation. 14 Treffer erzielte das 32 Jahre alte Kopfballungeheuer, das beim Confed-Cup im vergangenen Sommer nachhaltig auf sich aufmerksam gemacht hatte.
Der zweite mexikanische Star und Europa-Legionär ist Abwehrspieler Rafael Marquez, der im Mai mit dem FC Barcelona die Champions-League gewann.
Fast alle anderen Mexikaner spielen ähnlich wie die Iraner in einem Klub ihres jeweiligen Heimatlandes. Was auf den ersten Blick erstaunt, lässt sich leicht erklären: Die Gehälter, auch die in Mexiko, sind hoch, den Spielern wird dank ausgezeichneter Infrastruktur alles geboten, was das Profi-Herz begehrt. Lieber in der 1. Liga des Heimatlandes als in der 2. oder 3. Liga irgendwo in Europa spielen, lautet das Motto vieler Profis. Bei der Weltmeisterschaft könnte sich die mangelnde Spielpraxis auf hohem Niveau allerdings als entscheidendes Problem herausstellen.
Solche Sorgen brauchen sich die Angolaner nicht zu machen. Allein die Qualifikation, in der die Südwestafrikaner Nigeria hinter sich ließen, ist ein großer Erfolg. Wie durch ein Wunder hat sich Afrikas Aschenputtel Zutritt zum großen WM-Ball verschafft. Das Debüt beim Weltturnier ist für viele Angolaner Balsam auf die Wunden, die ihnen der Bürgerkrieg zugefügt hat.
Und weil Fußball in Angola ein so zuverlässiges Schmerzmittel ist, ist den Palancas Negras, den schwarzen Antilopen, wie kaum einer anderen der 32 Mannschaften ein erfolgreiches Turnier zu gönnen.
Vorausgesetzt, die Angolaner halten sich an die Spielregeln. Denn 1991 erlebte der angolanische Fußball seine schwärzeste Stunde. In einem Testspiel gegen die damalige Kolonialmacht Portugal sahen drei Angolaner Rot. Als sich dann auch noch einer verletzte, gab es keine Einwechselmöglichkeit mehr. Sechs verbliebene Feldspieler konnten nur eines bedeuten: Abbruch. Das Spiel endete in der 70. Minute beim Stand von 1:5.
Am 11. Juni heißt der erste WM-Gegner ebenfalls Portugal. Ein historischer Tag, an dem sich Aschenputtel von ihrer besten Seite zeigen will. Auch wenn an einen Sieg noch nicht einmal Märchenfreunde glauben.

Ein Beitrag von
Dirk Schuster

Artikel vom 02.06.2006