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Ein »Gullwing«
verleiht der
Seele Flügel

Gäste aus Amerika bei 300SL-Treffen

Von Michael Diekmann
und Hans-Werner Büscher (Fotos)
Bielefeld (WB). »Diese Farbe heißt silberviolett und ist einzigartig«, sagt der grauhaarige Mann, während er sich im braunen Lederblouson aus dem Cockpit schält, elegant über den hohen Einstieg schwingt und an der Flügeltür abstützt. Charles Rosak (69) reist mit Ehefrau Ellen und 300 SL Flügeltürer. Heimatadresse: Sparta im US-Bundesstaat New Jersey.

Rosak kam einen Tag vor der Meute an. Am Himmelfahrtstag erwartet die Mercedes-Benz-Niederlassung Ostwestfalen-Lippe in Bielefeld am Stadtholz mindestens 100 der rollenden Mythen, jenes Automobils, das für alle Fans und Hobbyisten der personifizierte Oldtimer schlechthin ist. Über Geschmack kann man streiten, über den 300 SL, den Gullwing, nicht. Dass der 300 SL-Club Deutschland, dessen Mitglieder von allen Kontinenten kommen, sein Jahrestreffen ausgerechnet in der Niederlassung Bielefeld abhält, empfindet nicht nur deren Leiter Dr. Peter Ulrich als eine ganz besondere Ehre. »Wir verneigen uns vor dieser automobilen Einzigartigkeit, die jeden fasziniert. Und wir möchten unseren Gästen unvergessliche Tage im Kreis von Freunden bereiten.«
Den Preis für das schönste Auto wird Charles Rosak bestimmt nicht ernten. Will er auch gar nicht. Der engagierte Ruheständler, der neben dem Flügeltürer noch einen Roadster besitzt, steht für jene Spezies der »Flügeltürer«, die mit ihren Autos leben. Es hat Patina, Charakter und eine Biographie. Der Wagen hat die Mille Miglia 2005 gemeistert, mit Tochter Atene als Co-Pilotin. In diesem Jahr, bedauert Rosak, hat es mit der Mille nicht geklappt. Dafür wird der Amerikaner mit seinem »Schatzi Ellen«, einer gebürtigen Hamburgerin, bis Ende August in Good Old Germany tingeln - natürlich mit dem Flügeltürer. Dann wird das fliederfarbene Unikat wieder nach New Jersey verschifft.
Zurück zum Treffen: Am Nachmittag des Himmelfahrtstages können sich die Fans des schönsten Oldtimers der Welt, der gerade erst 50 Jahre alt ist und seinerzeit 1952 erstes Serienauto mit Einspritzmotor war, bei Mercedes am Stadtholz die eintreffenden Wagen anschauen. Der millionenschwere Parkplatz, unterstreicht Marketing-Mann Michael Nabe, wird über Nacht bewacht wie Fort Knox und die Bank von England. Denn der SL-Club hat sein Jahrestreffen, Freitag ab 9 Uhr startet der Pulk zur Ausfahrt ins wunderschöne Ostwestfalen bis nach Hameln, mit Picknick, Schlossbesuch und technischer Betreuung durch die Profis von MB-Classic aus Stuttgart. Für Aufsehen werden die Wagen, die fast alle auf eigener Achse anreisen, Samstag beim Leinewebermarkt sorgen, ab 9.30 Uhr auf dem Klosterplatz.
Für SL-Fans wie Rosak, der seit den Sechziger Jahren Flügeltürer fährt und dem Wagen bis in die letzte Schraube verfallen ist, Anekdötchen und Geschichten kennt und Land und Leute, ist das Treffen in Bielefeld runder Tisch einer großen Familie. SL-Fahrer, sagen Insider, brauchen keinen Pomp und keinen Glamour, auch wenn Monroe oder Penske zu den Eigentümern zählten: »SL-Fahrer sind erfolgreich, stehen im Leben.« Bielefelder SL-Fahrer kennt Rosak auch schon: Mit den Startern Oetker, Hindrichs, Schröder oder Ulrich hat er sich 2005 bei der Mille in Brescia gemessen. Und einen Hauch Toskana, schwärmt der Mann aus New Jersey, hat die Landschaft in Ostwestfalen doch auch.

Artikel vom 25.05.2006