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Micha (7) nach Masern tödlich erkrankt

Junge hatte sich als Baby im Wartezimmer angesteckt - Unheilbare Spätfolge zerstört Hirn

Von Christian Althoff
Bad Salzuflen (WB). Im Garten der Bad Salzufler Familie G. steht ein großes Klettergerüst. »Früher ist Micha so wild darauf herumgeturnt, dass mir angst und bange wurde«, erinnert sich Oxana G. (33). Heute sitzt ihr Sohn im Rollstuhl und leidet an einer tödlichen Gehirnerkrankung - die Spätfolge einer Maserninfektion.

Micha war ein Baby, als er sich im Wartezimmer eines Kinderarztes bei einem masernkranken Teenager (13) ansteckte. »Kinder können erst mit elf Monaten gegen Masern geimpft werden, und Micha war noch nicht mal ein halbes Jahr alt. Deshalb war er nicht geschützt«, erzählt die Mutter. Damals machten sich die Eltern keine großen Sorgen: »Unser Junge machte die Masern durch und war bald wieder gesund.« Niemand ahnte, dass die Viren einen Weg in Michas Gehirn gefunden hatten und dort schlummerten - bis sie Jahre später beginnen sollten, erste Zellen zu zerstören.
»Micha hatte erst eine ganz normale Kindheit«, erzählt die Mutter, die noch drei weitere Söhne im Alter von neun, vier und eineinhalb Jahren hat. »Er war wissbegierig, sportlich, malte gerne und brachte sich im Kindergarten selbst die ersten Buchstaben bei.« Als der Junge mit fünf Jahren abwesend, vergesslich und aggressiv wurde, glaubten die Eltern zunächst an eine vorübergehende Erscheinung. Doch dann verlor das Kind zunehmend die Kontrolle über seine Bewegungen.
»Wir waren im August 2004 in Kroatien im Urlaub, als Micha immer wieder hinfiel. Einen Schwimmkurs mussten wir abbrechen, weil unser Sohn seine Beine nicht mehr koordiniert bewegen konnte.« Der Fünfjährige habe immer wieder gefragt, was mit ihm los sei, aber sie hätten keine Antwort gewusst.
Die gab wenig später ein Arzt im Klinikum Detmold. Er hatte SSPE diagnostiziert, Subakute sklerosierende Panenzephalitis - eine unheilbare Spätfolge der Masern, bei der das Gehirn langsam zerstört wird. Ihrem Sohn erläuterten die Eltern die Diagnose nicht: »Er fühlte sich überhaupt nicht krank. Die Wahrheit hätte ihn nur belastet«, sagt die Mutter.
So ging Micha langsam in einen Zustand über, der ihn zum Pflegefall werden ließ. Heute kann der Siebenjährige lächeln, hören, schlucken und wasserlassen - sonst nichts. Micha ist rund um die Uhr auf Pflege angewiesen, auch nachts. Alle drei Stunden stehen sein Vater Peter G. (35) oder seine Mutter auf und wenden ihn, damit er sich nicht wundliegt. Auch wenn noch kein Kind SSPE überlebt hat - der Glaube an Gott lässt die Eltern auf ein Wunder hoffen: »Michas Leben liegt in Seiner Hand«, sagt die Mutter.
Der Arzt, in dessen Praxis sich Micha 1999 angesteckt hatte, betreut weiter alle Kinder der Familie: »Er konnte schließlich nicht ahnen, dass der 13-Jährige im Wartezimmer Masern ausbrütete«, sagt Oxana G. Allerdings denkt sie manches Mal darüber nach, warum jener Teenager wohl als Kind nicht gegen Masern geimpft worden war. »Für ihn wäre es nur ein kleiner Pieks gewesen. Aber für Micha und uns hätte es ein völlig anderes Leben bedeutet.« Groll hegt die Mutter trotzdem nicht: »Er nähme mir die Energie, die ich im Alltag brauche.«

Artikel vom 25.05.2006