01.07.2006
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»Es ist alles in Ordnung, Charles, lass nur«, sagte sie und hatte sich gleich wieder im Griff. »Ich hatte niemanden mehr erwartet, das ist alles. Hatte ich nicht gesagt, punkt acht? Also wirklich, bist du jetzt schon so weit, dass du so etwas für ein sauberes Hemd hältst?«
Ich wollte ihr alles erklären, fing von der Miete und dem Rennen an, doch sie fiel mir sofort ins Wort. »Charles«, sagte sie und schaute nach unten. »Da tropft etwas auf deinen Schuh, sehe ich das richtig?«
»Das wollte ich dir gerade erklären. Mutter, darf ich dir das neueste Mitglied unserer É unserer Gang vorstellen. An Evening of Long Goodbyes.«
»Du hast hoffentlich nicht vor, das da mit ins Haus zu nehmen.«
»Tja, weißt du, das ist eine Art Abschiedsgeschenk für Bel.«
»Wenn du glaubst, Charles, ich lasse zu, dass dieses flohverseuchte Vieh auf meinem Parkett stirbt, während ich Gäste im Haus habe, dann É«
Mutter seufzte schwer und drückte den Rücken durch. Aus dem Haus drangen gedämpfte Geräusche von fröhlichem Treiben zu uns. »Wo ist Patsy?«, fragte sie, hielt sich ihre Lorgnette vor die Augen und schaute angestrengt in die Dunkelheit. Dann wandte sie sich wieder mir zu. »Charles«, sagte sie sotto voce. »Das ist nicht Patsy Olé.«
»Nein, Mutter, das ist Frank. Du erinnerst dich doch an Frank?«
»Doch nicht der Junge aus der Garderobe?«
»Doch, doch, das ist er.«
Die Enden ihrer Mundwinkel senkten sich noch ein klein wenig tiefer. »Ich weiß von einigen Personen, die sich sehr für seine Meinung betreff des Verbleibs ihrer Handtaschen interessieren würden.«
»Also komm, das ist doch lächerlich«, protestierte ich. »Frank ist ein grundehrlicher Mensch. Da, schau ihn dir doch an É«
Wir begutachteten den an seinem Lieferwagen lehnenden Frank ein weiteres Mal. Er winkte uns mit zappeligen Finger zu und grimassierte grauenerregend.
»Ich pass auf ihn auf, ich versprechÕs dir.«
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Ich war mir nicht sicher, ob sie Frank oder den Hund meinte, aber ich fragte auch nicht nach. Ich nickte Frank zu, und er kam leicht schwankend herüber. Wir packten den geschlagenen Hund an beiden Enden, hoben ihn hoch und schlugen uns in den klatschnassen Garten.
In den Fenstern hing Rokokoweihnachtsschmuck. Alle Lampen im Haus brannten und tauchten den Rasen und die kahlen Bäume des Obstgartens in ein butterweiches Licht. Stolz wie ein sein Königreich überblickender Berglöwe stand der flaschengrüne Mercedes vor der Garage. Von außen wirkte die Küche wie eine griechische Trauerfeier: Hektische Kellner in Schwarz trugen Geschirr herum und ließen Schüsseln in zitternde Berge aus Seifenlauge fallen. Niemand schenkte uns und unserer seltsamen Fracht Beachtung, bis wir auf Mrs P stießen, die in der Nische neben dem Kühlschrank herumfuhrwerkte.
»Master Charles!«, kreischte sie und schlang ihre Arme um mich. »Sie haben Gesicht wieder! Wunderschönes Gesicht!« Und dann erblickte sie den Hund. »Ach Gott, Master Charles, haben Sie den überfahren mit Auto?«
»Nein«, sagte ich ärgerlich. »Das ist ein Abschiedsgeschenk für Bel.«
Sie sagte etwas auf Bosnisch, und Zoran, der Sohn mit dem runden Schädel, kam herüber und drückte mit den Fingern auf den Rippen des Hundes herum.
»Ich glaube, der ist É wie sagt ihr dazu É erledigt?«
»Er ist nicht erledigt. Ich wünschte, ihr würdet endlich damit aufhören, dauernd solche Sachen zu sagen, das regt ihn bloß auf«, sagte ich. Allerdings stimmte es schon, dass er nicht gerade den besten Eindruck machte, wie er da so reglos auf dem Boden lag. »Er musste ein paar Hiebe einstecken, das ist alles. Er braucht was zu fressen, dann É he, was machst du da?« Zoran hatte eine schmale Metallklammer an seiner Flanke befestigt und kramte in einem Kasten mit bedrohlich aussehenden Instrumenten herum.
»Keine Sorge«, flüsterte mir Mrs P ins Ohr. »Er ist Doktor.«
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»Charlie É« Eine lahme Hand krallte sich in meinen Ärmel.
»Um Himmels willen, sei nicht so melodramatisch. Mrs P, vom Abendessen ist nicht zufällig noch was übrig? Ich glaube, Frank fühlt sich ein bisschen É«
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»Warum ist eigentlich Mrs P nicht zu der Party eingeladen, Charlie?«, fragte Frank, als wir durch die Halle gingen.
»Weil sie die É nun ja, es ist nicht so, dass sie nicht eingeladen ist, eigentlich. Sie bleibt eben lieber im Hintergrund bei solchen Anlässen. Sie mag das halt nicht, dieses Pompöse.«
»Ah so. Hab mich bloß gefragt, warum sie vorhin so geweint hat.«
»Sie hat geweint?«
»Ja, als wir reingekommen sind.«
»Hat wahrscheinlich gerade Zwiebeln geschnitten oder so. Vielleicht ist es auch wegen Bel. Sie ist ein ziemlich mütterlicher Typ; alle Köchinnen sind so.«
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»Großer Gott!«, sagte ich und umklammerte Franks Arm. »Ist das nicht wunderschön? Achtung, runter!«
»Was?«, sagte Frank, gerade als Niall OÕBoyles Handy durch die Luft segelte, Frank voll an der Schläfe erwischte und er wie ein gefällter Baum auf den Boden krachte. Zwei Dutzend Augenpaare schauten uns an, und am Kopfende des Tisches standen peinlich berührt und mit offenem Mund Niall OÕBoyle und Harry, der Handywerfer. Mutter schaute mich rachsüchtig an. Hastig hob ich das Handy auf und hielt das leuchtende Display hoch. »Funktioniert einwandfrei, Ladys und Gentlemen.« Alle atmeten erleichtert auf und plapperten weiter.
»Sollte nur eine kleine Demonstration sein«, sagte Niall OÕBoyle großspurig.
»Kein Problem, ist sicher nicht so schlimm«, beruhigte Mutter ihn. »Bel, Darling, würdest du dich bitte um ein paar Eiswürfel kümmern.«
Bel, die am anderen Ende saß, stand widerstrebend auf. Das warm glänzende Licht des Kandelabers funkelte auf ihrer dünnen goldenen Halskette. Sie war ganz in Schwarz gekleidet. Sie kam um den Tisch herum und ging neben Frank in die Hocke, der sich mit geschlossenen Augen auf dem Boden krümmte und wirres Zeug brabbelte. »Wo wart ihr?«, fragte sie mich. »Was hast du ihm angetan?«
»Ich hab ihm gar nichts angetan«, sagte ich. »War ein ziemlich anstrengender Tag, das ist alles.«
»Ihr beide riecht wie eine ganze Schnapsfabrik.«
»Er braucht nur was zu essen É Ist noch was da?«
»Ich glaube, es sind noch Trüffeln da«, sagte sie. »Und vielleicht etwas Consommé?«
»Was ist Consommé?«, sagte Frank und öffnete die Augen.
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Artikel vom 01.07.2006