28.06.2006
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»Das ist der Hund, auf den Bel letztes Mal gewettet hat«, sagte er. »Du weißt doch, der diesen Jungen gebissen hat.«
»Ach ja«, sagte ich. »Hab doch gewusst, dass ich den Namen kenne.«
»Schau dir die Quote an, Charlie«, flüsterte er. »Astronomisch.«
»Kaum überraschend nach dem Tohuwabohu, das der letztes Mal angerichtet hat. Wundert mich, dass die den überhaupt noch laufen lassen.«
»Denk doch mal nach. Wenn wir alles, was wir haben, auf den setzen, dann reicht das für Miete, Strom, Gas und É«
»Ja, ja, aber du vergisst eins:Der gewinnt nicht, was glaubst du, warum die Quote É«
»Aber wenn wir, sagen wir, zweihundert Scheine auf ihn anlegen, dann É«
»Aber er gewinnt nicht, verdammt. Der könnte allein laufen und würde nicht gewinnen. Der Hund ist der geborene Verlierer, kapierst du das denn nicht?«
F
Das Vernünftigste wäre, die Sache als Low-Risk-Investment zu betrachten: auf Celtic Tiger setzen und den Minimalgewinn einsacken. Andererseits É Ich schaute über die Schulter und ließ meinen Blick durch die Bar schweifen: Alles schien seinen normalen Gang zu gehen. Andererseits É Was, wenn wir hier über eine Art Zockeranomalie gestolpert waren? Was, wenn heute Abend tatsächlich irgendetwas in der Luft lag? Was, wenn dieses Irgendetwas - oder dieser Irgendwer - versuchte, Kontakt mit uns aufzunehmen? Um uns zu helfen, mittels dieses unkonventionellen Vehikels namens An Evening of Long Goodbyes?
»Woran denkst du, Charlie?«
W
Ich holte tief Luft. Im Allgemeinen, auch wenn es zu Zeiten nicht so aussehen mochte, hatte ich immer vernünftig gehandelt. Ich hatte an gewissen Dingen und Menschen, Glaubenssätzen und Lebensarten festgehalten. Das hatte ich immer versucht, gegen alle Wechselfälle des Schicksals hatte ich versucht, sie zu verteidigen. Und wohin hatte mich das gebracht? Alles, was ich hatte festhalten wollen, war mir entglitten. Vielleicht lag das Geheimnis darin, genau das Gegenteil zu tun. Vielleicht musste man die Dinge, die man liebte, aufs Spiel setzen, musste man mit heißem Herzen das Wagnis des Augenblicks leben É Ich griff nach dem Stift und füllte den Wettschein aus.
Schon als die Hunde auf die Bahn geführt wurden, war uns klar, dass wir einen furchtbaren Fehler gemacht hatten. Von einer Sekunde auf die andere tobte das Stadion. Gesänge wurden angestimmt, Fähnchen geschwenkt, die übelsten Strauchdiebe hakten sich unter und schunkelten - und das alles wegen Celtic Tiger alias - wie wir wenig später erfuhren - Bookies Nightmare.
»Scheiße«, sagte Frank.
Zwei Mann waren nötig, um Celtic Tiger in seine Startbox zu quetschen. Er wog mindestens hundert Pfund und bestand in erster Linie aus Hinterbacken und schnappenden Fangzähnen. Welch biologisches Band er auch immer mit der Familie der Windhunde gemein hatte, es muss ein ziemlich fadenscheiniges gewesen sein. Die anderen Hunde, die offenbar schon seine Bekanntschaft gemacht hatten, schauten einzigartig deprimiert in die Gegend - das heißt, mit Ausnahme von An Evening of Long Goodbyes, der hoffnungsfroh in Richtung der Hotdog-Buden blickte. Was an Celtic Tiger besonders auffiel, war die ungezügelte Bösartigkeit, die er ausstrahlte. Niemals zuvor hatte ich mich in so unmittelbarer Nähe von etwas so Bösem befunden - außer in den Mittagspausen mit Mr Appleseed. Und dennoch schien Celtic Tiger eine fast religiöse Inbrunst zu entfachen. Die Zocker zählten auf ihn mit der gleichen ergebenen Verzweiflung wie die Menschen eines ausgedörrten Landes auf die jährliche Regenzeit. »Gott segne dich, Celtic Tiger«, sagte ein völlig fertiger Mann, der neben uns am Fenster stand und dessen zerfurchte Wangen tränennass waren. Ich erkannte, dass im Leben dieser Menschen Celtic Tiger eine der wenigen festen Größen war: neben dem Tod natürlich, und Krankenschwestern. Die Startpistole knallte, der Hase jagte los.
Wir feuerten An Evening of Long Goodbyes so laut wir konnten an, doch ich bezweifelte, dass er uns hören konnte. Binnen Sekunden war Celtic Tiger allein auf weiter Flur. Stolz nahm er die Ovationen der Menge entgegen, während die anderen Hunde in respektvollem Abstand folgten. Es glich einem Reichsparteitag für Hunde.
»Ein Fiasko«, heulte ich. »Die anderen versuchen es nicht mal. Das soll ein Rennen sein? Die sind zu feige, ihn überhaupt anzugreifen!«
I
»Was für ein tapferer Hund«, sagte einer der Wetter widerwillig.
»Tapfer würde ich das nicht nennen«, sagte sein Kumpel. »Kommt mir eher so vor, als wüsste er nicht, was er da tut.«
»Das ist er«, flüsterte Frank mir zu.
Ich begriff schnell, was passiert war. An Evening of Long Goodbyes hatte gesehen, dass in der ersten Zuschauerreihe der Gegengeraden ein Mann sein Sandwich ausgepackt hatte. Die Zuschauer konnten ihn jetzt ausbuhen und verfluchen, so viel sie wollten. Ich wusste, dass er jetzt einzig an dieses Sandwich dachte, dass er sich nicht mehr ablenken lassen würde, weder von den Buhern, noch von der bedrohlich näher rückenden Ziellinie, noch von den einschüchternden Blicken seines größeren Widersachers, mit dem er in diesem Augenblick gleichzog É
»Jawoll!«, brüllte ich und schlug gegen die Scheibe, was mir finstere Blicke der neben mir stehenden Zocker einbrachte. »Jawoll! Hau ihn weg!«
Und dann, die Maske jedweder sportlichen Fairness fallen lassend, zerfetzte Celtic Tiger die Schnauze seines Rivalen, als sei sie aus Papier, und schlug dann seine Kiefer in dessen Hals.
»Heee!«, heulte Frank. »Schiedsrichter! Foul!«
E
D
Vom Fenster waren wieder Schreckenslaute zu hören; anscheinend gab es auf der Bahn neue Gräueltaten. Anstatt mich umzuschauen, nahm ich ein Schlückchen Whisky und wand mich vor Wohlgefühl, als ich den vertraut herben Kick spürte. Zur Hölle mit dem verdammten Rennen. Ich hatte noch Geld für genug Whisky, um mir endgültig den Rest zu geben.
Artikel vom 28.06.2006