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Ich lass nicht das Arschloch raushängen. Ich hab das Geld nicht«, sagte ich und trat einen Schritt zurück.
»Aber du musst«, sagte er mechanisch und kam mit seinen schlenkernden baumdicken Armen auf mich zu. »Jeder, der aus Killiney kommt, hat haufenweise Geld É«
»Verdammt, Frank, denk doch mal zwei Sekunden nach«, brüllte ich ihn an. »Wenn ich Geld hätte, würde ich dann hier wohnen? In diesem Slum? Glaubst du etwa, dann würde ich hier den ganzen Tag zwischen Junkies rumlatschen oder irgendwelche Leute aus Opiumhöhlen rauszerren? Ich sollte eigentlich bei Stewardessen einziehen. Stewardessen, Frank! Aus Schweden! Ist dir nie der Gedanke gekommen, dass ich lieber woanders wohnen würde als in einer Ghettobude mit einem Schrotthändler und einem jugendlichen Straftäter.«
Eine Sekunde lang war ich mir sicher, dass er mich schlagen würde. Aber er tat es nicht. Stattdessen schien sein Gesicht irgendwie in sich zusammenzufallen. Er schlug die Hände vors Gesicht und sackte wieder zu Boden.

E
ine dünne Stimme machte sich bemerkbar. Der Regen hatte Droyd geweckt. »Tut mir Leid, Frankie«, nuschelte er in Zeitlupentempo und zupfte an Franks Ellbogen. »Ab jetzt nur noch die Musik, ich schwöre.«
»Das hast du letztes Mal auch gesagt, du Penner«, sagte Frank mit zusammengebissenen Zähnen.
»Diesmal mein ichÕs ernst«, sagte Droyd. Der Regen platschte ihm auf die Stirn. »Ich schwöre, Frankie. Mach dir keine Sorgen, wir kommen raus aus dem Scheiß. Wir fahren nach Ibiza, hängen den ganzen Tag am Strand rum und kippen ein Bier nachÕm andern É Und die Pussys rennen uns die Bude ein É«
»HaltÕs Maul, du Wichser. Kapierst du nicht, mit dir bin ich fertig, du verschissener Junkie.« Frank vergrub wieder das Gesicht in den Händen und steckte den Kopf zwischen die Knie. »Wir sind am Arsch«, schluchzte er. »Völlig am Arsch.«
Ich steckte die Hände in die Taschen und trat verlegen von einem Bein aufs andere. Weit entfernt im Osten, irgendwo jenseits der Starkstromleitungen, fuhren gerade die ersten Dinnergäste vor. Wenn ich mich jetzt sofort auf den Weg machte, konnte ich die Vorspeise noch schaffen. Und morgen konnten Frank und ich uns zusammensetzen und einen Plan austüfteln. Es hatte keinen Sinn, hier noch länger Zeit zu verplempern und zu allem Überfluss auch noch auf Mutters schwarzer Liste zu landen.
Doch gerade als ich ciao ciao! sagen und dieses Ödland hinter mir lassen wollte, hatte ich eine Vision. Klar und deutlich hatte ich das Bild vor Augen, wie ich am Esstisch saß und Bel von den Abenteuern des heutigen Tages berichtete. Ich präsentierte sie als eine Art Räuberpistole über die Schwierigkeiten, die ich zu überwinden hatte, um heute Abend bei ihr zu sein. Allerdings schien ihr das Lustige daran zu entgehen, stattdessen wurde sie wütend und hackte auf mir herum, während ich versuchte, meine Ententerrine zu genießen. Frank hat dir ein Dach über dem Kopf gegeben, sagte sie, und so dankst du ihm das? Erst lässt du dir Amaurot durch die Lappen gehen, und jetzt lässt du auch noch zu, dass sie Frank aus Apt. C, Sands Villas, rauswerfen?

I
ch schaute nach unten. Droyd war wieder eingeschlafen, sein Kopf lag an Franks Schulter. Jetzt pass mal auf, sagte ich zu der Bel in meiner Vision, Mutter hat gesagt, punkt acht. Die Ansage war unmissverständlich, und Gott weiß, so wie sie drauf war, hätte sie mich um ein Haar enterbt. Und außerdem, was ist eigentlich mit dir? Ich zeigte auf die Koffer, die in meiner Vision reisefertig unter dem Glasfries in der Halle standen. Was bläst du dich eigentlich so auf, du verdrückst dich nach Jalta. Was glaubst du, wann Frank oder Droyd mal die Chance haben, so was wie Jalta zu Gesicht zu bekommen? Nie.Genau. Die kommen wahrscheinlich nie auch nur aus ihrem gottverlassenen Slum raus.

N
ichts davon schien sie zu berühren. Sie schaute mich so an, wie sie mich schon die ganze Zeit anschaute, und ich senkte den Blick und blickte schuldbewusst auf meine imaginäre Ententerrine.
Und dann hatte ich eine Idee.

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ugegeben, die Idee machte anfangs nicht viel her, zumal als wir unsere Taschen ausleerten und dabei nur vier Pfund achtundsiebzig in Münzen (von Frank) und als Zugabe ein ungewöhnlich kolorierter Kieselstein vom Strand in Killiney (von mir) zum Vorschein kamen. Doch nachdem wir Droyd nach Hause gebracht, in Franks Bett gesteckt, die Zimmertür mit dem Sofa, der Schlafzimmerkommode und zwei Hanteln, deren Gewichte immer wieder von den Griffen rutschten, gesichert und Laura angewiesen hatten, ihn unter keinen Umständen aus dem Zimmer zu lassen, zogen sich Frank und ich nach draußen in seinen Lieferwagen zurück, um die Sache durchzusprechen. Die Ereignisse hatten ihn verständlicherweise mitgenommen, und so bestand er darauf, bevor er sich irgendetwas anhörte, zur Beruhigung etwas von seinem Haschisch zu rauchen. Und da mir selbst auch nach etwas Beruhigendem war, ich aber keinen Tabak mehr hatte, stopfte ich mir ebenfalls etwas Haschisch in meine Pfeife. Dann, als wir beide ruhiger waren, legte ich ihm meinen Plan dar.
»Am besten gehen wir die Sache mit der Einstellung an, dass wir nichts mehr zu verlieren haben«, sagte ich. »In gewisser Weise ist das sogar ein Vorteil, verstehst du? Das heißt, dass wir ein höheres Risiko eingehen können, ich meine, schlimmer kannÕs ja nicht mehr werden, oder?«
»Ich weiß nicht, Charlie«, sagte er skeptisch.
»Das ist meine Spezialität«, sagte ich. »Ehrlich, das ist wahrscheinlich das Einzige auf der Welt, das ich wirklich gut kann.«
Frank schüttelte den Kopf und blies stoßweiße kleine duftende Rauchwölkchen in die Luft.
»Vertrau mir einfach«, sagte ich, und er überreichte mir leise, aber ausdrucksvoll stöhnend seine letzten vier Pfund achtundsiebzig.
Auch während der Fahrt war offensichtlich, dass dies ein schicksalhafter Abend war. Der senkrecht fallende Regen prasselte auf das Glasdach des Lieferwagens, und als die Hunderennbahn in Sicht kam, zauberte das Flutlicht eine Art Glorienschein in den Regenhimmel. Das Stadion strahlte wie eine magische Stadt, als wäre unser ganzes bisheriges Leben eine Straße gewesen, die uns schließlich zu diesem märchenhaften Ort führen sollte. Als wir demütig und beklommen schweigend auf den Parkplatz rollten, hatte ich das höchst merkwürdige Gefühl, dass die Alltagsrealität nichts mehr galt. Farben leuchteten kräftiger, Töne klangen voller, klarer; Gedanken und Erinnerungen, Vergangenheit und Zukunft hatten ihre Schranken überwunden und durchtränkten die Luft. Die Roma-Frauen mit den Goldzähnen, die auf dem Parkplatz die Rennprogramme verkauften; die roboterhafte Lautsprecherstimme, die das nächste Rennen ankündigte - alles schien ein geheimes Zeichen zu tragen; alles schien vom Glanz des Schicksals überzogen.

I
ch schaffte es, Frank dazu zu überreden, dass wir diesmal oben in der Bar blieben. Direkt am Fenster war ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen frei. Die Tribüne im Freien war voll, die Atmosphäre elektrisiert - buchstäblich, denn über dem Stadion brauten sich wirbelnde Gewitterwolken zusammen. Ich bestellte einen Tom Collins und machte mich ans Werk.
2003 Masterpiece - Ivor Biggun - trouble in paradise 5/1
2018 TwinkÕs Mother - Dunroamin - the great pretender 8/3
2040 Flashdance - My Other DogÕs a Mercedes - liberty bell 3/2

Die Sieger herauszupicken erforderte keine großen seherischen Fähigkeiten meinerseits. Falls an diesem Abend, wie es zunehmend den Anschein hatte, überirdische Kräfte am Werk waren, so machten sie sich kaum die Mühe, sich zu verstecken. Stattdessen schienen sie sich der Hundenamen zu bedienen, um mich für die Fehleinschätzungen, denen ich in letzter Zeit erlegen war, an den Pranger zu stellen. Oh Brother!, Good-time Charlie, IÕm Off - in jedem Rennen steckte eine kaum verhüllte Anklage, die ausschließlich mir galt; und jede Anklage endete unfehlbar mit einem Sieg. Das Geld floss satt und schnell, und nach eineinviertel Stunden war ich mit den Nerven am Ende. Überflüssig zu erwähnen, dass Frank das nicht im Mindesten kratzte.
»Also, nächstes Rennen«, sagte er und studierte das Rennprogramm. »Glasklarer Zweikampf zwischen Brits Out und É You Tore Me Down.« Er hob den Kopf und schaute mich an. »Was meinst du, Charlie, Brits Out oder É?«
»You Tore Me Down, verdammt noch mal!«, rief ich. Mir war kreuzelend, ich rieb mir mit den Fäusten die Augen. »You Tore Me Down natürlich, wer denn sonst? Das ganze Programm ist nichts weiter als eine É eine Hexenjagd.«
»Alles in Ordnung, Charlie?«

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ichts ist in Ordnung. Da macht ein Mann mal einen Fehler, und anstatt ihm die Chance zu geben, die Sache wieder auszubügeln, freuen sich alle diebisch und zeigen mit dem Finger auf ihn. Und was ist mit Harry? Warum kommt der ungeschoren davon? Warum nennen sie nicht mal ein paar Hunde nach dem?«
»Ich glaub, der Stoff schlägt dir ein bisschen aufs Hirn, Charlie.«
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 26.06.2006