24.06.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 



Viel Glück«, sagte sie und küsste mich auf die Wange.
Wir liefen mit den Jacken über unserer Köpfen die Straße hinunter, die einer verwüsteten Mondlandschaft glich. Wir sprangen über Furchen, in denen schmutziges Wasser stand, und über regenbogenfarbene Benzinpfützen. Schließlich kamen wir zu einem niedrigen, bunkerähnlichen Betonbau. Die Metallrollläden waren mit vielen Graffitischichten bedeckt. Auf dem zerfurchten Boden davor lagen Zigarettenstummel und zerbrochene Nadeln. Ich war schon mal hier gewesen. Es war das Coachman.
»Willst du da etwa rein?«, fragte ich.
Frank drehte sich um und legte mir eine Hand auf die Schulter. »Also, Charlie, du gehst jetzt einfach hinter mir da rein und tust genau das, was ich dir sage, okay?«
»Okay«, piepste ich. Ich umfasste den Tennisschläger noch etwas fester. »Also gut. Noch einmal stürmt, noch einmal, liebe Freunde É«
»Du sagst keinen Ton, verstanden?«

W
ir gingen hinein. Statt vom Regen durchnässt wurden wir nun von einem Dutzend feindseliger Augenpaare durchbohrt. Sprachlos schaute ich mich um. Ein Laden wie aus einem Albtraum des Guide Michelin: verzogener Linoleumboden, viel zu grelles Licht, kein Mobiliar außer wackeligen Hockern und Picknicktischen mit dem Schriftzug Staatliches Forstamt. An der Bar saßen sechs Männer, die praktisch keine Stirn hatten. Einer zeigte uns seine gebleckten Zähne.
»Alles paletti?«, sagte Frank. Niemand antwortete. Lässig wechselte Frank den Knüppel von einer Hand in die andere. Als umrundeten wir vorsichtig den Krater eines Vulkans, tasteten wir uns seitlich an der Wand entlang. Die Männer an der Bar folgten uns mit ihren Blicken, rührten sich aber nicht. Wir kamen schließlich zu einer Tür, auf der herren stand. Frank öffnete sie, und wir gingen hinein. Erleichtert atmete ich tief durch und bereute es sofort. Es hing ein unbeschreiblich fauliger Gestank in der Luft, der immer schlimmer wurde, je weiter wir durch den schmalen Gang gingen. Wir kamen zu einer Stahltür, in die auf Augenhöhe eine vergitterte Klappe eingelassen war. Frank fing an mit seinem Knüppel auf die Tür einzuschlagen. Das Scheppern und Dröhnen war höllisch. Die Klappe glitt zur Seite, und hinter dem Gitter erschien ein feuchtschwarzes Augenpaar.
»Ja?«, sagte eine Stimme.
»Wir wollen zu Droyd«, sagte Frank.
»Francy!«, sagte die Stimme. »Bist du das? Moment É«
Die Klappe schloss sich wieder, und es folgte eine Serie von verschiedenartigen Schließgeräuschen. Endlich öffnete sich die Tür. Wir wurden von einem dünnen Mann in den Vierzigern begrüßt. Er hatte glattes Haar, eine ungesunde Haut und sah insgesamt so aus, als hätte er gerade ein paar Runden in einem Ölteppich geschwommen. Zwei brennende, verschieden lange Zigaretten klemmten zwischen den Fingern seiner rechten Hand. »Lange her, Francy.« Er nickte in meine Richtung. »Dein Butler?«
»Wir wollen zu Droyd«, sagte Frank, bevor ich den Irrtum aufklären konnte.
»Droyd?« Cousin Benny fuhr sich nachdenklich übers Kinn. »Tut mir Leid, hab ich nicht gesehen.«
»Er ist abgehauen, mit drei Monatsmieten.« Frank hob drohend den Knüppel. »Ich weiß, dass du ihm Stoff verkaufst«, sagte er.

C
ousin Benny schien das lustig zu finden. »Noch nicht gehört?«, sagte er. »Droyd ist jetzt clean. Sauber wie Õn Kinderpopo.« Er schüttelte den Kopf und seufzte. »Diese jungen Burschen, kennen einfach keine Loyalität. Erst klauen sie dir die besten Jahre, dann lassen sie dich einfach fallen É«
Knurrend vor Wut stieß Frank ihn beiseite. Ich hob entschuldigend eine Augenbraue und folgte ihm.
Das Erste, was mir in dem Raum auffiel, war der Geruch - eine moderige Mischung aus Essensresten, Körperausdünstungen und verrottendem Mauerwerk. Es gab weder Möbel noch Teppiche; es lagen nur Matratzen auf dem Boden, verschimmelte Matratzen. Es war so dunkel, dass ich die apathischen Gestalten auf den Matratzen erst nach ein paar Sekunden bemerkte - und nach ein paar weiteren, dass die meisten Kinder waren. Es waren etwa fünfzehn bis zwanzig; sie lagen auf dem Boden oder kauerten an den Wänden, mit schlaffen Augenlidern und nickenden Köpfen, als wären sie gerade völlig erschöpft von einem Schulausflug nach Hause gekommen. Viele kannte ich von der Straße; sie hatten mich mit Feuerwerkskörpern bombardiert. Mir war elend, während ich von Matratze zu Matratze schaute. Schließlich fiel mein Blick auf die beiden mondgesichtigen Einkaufswagenkinder. Sie saßen zusammengesackt da, die Hände verkrampft, vor ihren Füßen eine schwarze Ampulle.
Cousin Benny hatte die Tür wieder zugemacht. Er hatte sich daneben aufgebaut, war in dem düsteren Grabkammerlicht aber nur schemenhaft zu erkennen. Er blies eine riesige Rauchwolke in den Dunst, der sich wie ein Leichentuch über die Schlafenden ausbreitete. Die vollkommene Stille wirkte wie eine gottlose Parodie auf Ruhe und Frieden. Ich sah, dass der Tennisschläger in meiner Hand zitterte, legte die Hände auf den Rücken und verschränkte die Finger. Dann hörte ich ein Stöhnen. Frank, der sich inmitten der Leiber vorgetastet hatte, stakste plötzlich hastig auf die gegenüberliegende Wand zu. Er bückte sich, und als er sich wieder erhob, lag in seinen Armen eine schlaffe Gestalt im Trainingsanzug. Es war Droyd, berauscht, überraschenderweise mit einem Gesichtsausdruck wie von einem präraffaelitischen Gemälde. »Verpiss dich«, murmelte er verschlafen. »Verpiss dich.«

A
ls klar war, dass er nicht aufwachen würde, wuchtete Frank sich ihn über die Schulter. Schnaufend drehte er sich zu Cousin Benny um. »Ich nehm ihn mit, Benny«, sagte er.
»Wie du willst«, sagte Cousin Benny. Die beiden Rauchwölkchen kringelten sich wie Beschwörungsformeln von seiner Hand in die Höhe. »Er kommt wieder.«
»Rühr dich nicht vom Fleck.« Frank machte ein paar Schritte in Richtung einer zweiten Tür, von der die Farbe abblätterte. »Behalt ihn im Auge, Charlie.« Ich schluckte und zückte meinen Tennisschläger.
Cousin Benny lächelte spöttisch. »Und was soll er jetzt machen? Mich aus seinem Tennisclub rausprügeln?«
Trotzdem brachte er sich, während Frank auf die Tür zustapfte, mit ein paar Schritten rückwärts in Sicherheit. »Nimm ihn ruhig mit«, rief er uns hinterher. »Er kommt wieder. Ist auch nur Õn kleiner Wichser. Wie ihr alle, kleine Wichser. Klar, er versuchtÕs wieder, will wirklich clean werden, und dann passiert irgendwas, das er nicht auf die Reihe kriegt, und dann er steht wieder vor der Tür und hält mir die Kohle unter die Nase É«

I
ch schlug die Tür hinter mir zu, und dann standen wir Gott sei Dank wieder auf der Straße. Frank legte Droyd auf den Beton, und wir sogen die kalte nasse Luft wie Manna in unsere Lungen.
Mir fiel auf, dass meine rechte Hemdmanschette aufgegangen war. Ich versuchte sie wieder zuzuknöpfen, doch meine verdammten Hände zitterten zu stark. Das war verdammt ärgerlich. Auch mein Smoking war inzwischen völlig durchnässt. Ich lehnte mich an die Wand, atmete tief durch und wartete darauf, dass das Zittern aufhörte. Schließlich ließ es so weit nach, dass ich die nötige Justierung vornehmen konnte. Ich klatschte in die Hände. »Jawoll«, sagte ich.
Frank war neben Droyd in die Hocke gegangen und starrte niedergeschlagen auf seine Schuhe.
»Hab schon amüsantere Nachmittage erlebt«, sagte ich. »Trotzdem, Ende gut, alles gut.«
Keiner von beiden reagierte.
»Ende gut, alles gut«, wiederholte ich vorsichtig. »Oder?«
»Was sollen wir jetzt machen, Charlie?«, sagte Frank.
»Nun ja, ich muss jetzt schleunigst zu meiner Dinnerparty«, sagte ich. »Ich würde dich ja mitnehmen, aber É Abendgarderobe, weißt schon É«
»Nein, ich meine das Geld, verdammt, das Geld für die Miete.«
»Tja, weiß nicht«, sagte ich. »Wird sich schon was ergeben, denke ich.«

F
ür sonderlich hilfreich schien Frank den Ratschlag nicht zu halten. Langsam wurde ich etwas gereizt. Verdammt noch mal, konnte er nicht verstehen, dass ich mich mit eigenen Problemen herumschlug? Konnte er nicht mal für fünf Minuten nicht an Geld denken?
»Vielleicht machst du dir ja ein völlig falsches Bild von dem Hausbesitzer«, sagte ich schroff. »Vielleicht zeigt er ja Verständnis, wenn du ihm alles erklärst. Ich meine, dass Droyd das Geld gestohlen hat, um sich Drogen dafür zu kaufen, dass es dir sehr Leid tut und dass du ihm das Geld sobald wie möglich gibst. Der ist doch Polizist, hast du gesagt. Als ehemaliger Polizist versteht er das doch, meinst du nicht?«
Franks hohles Gelächter dauerte fünf volle Minuten. Ich kochte, schlug die Hacken gegeneinander und ließ den Dunlop-Tennisschläger in meiner Hand herumwirbeln. Plötzlich schoss Franks Hand nach oben und packte den Schläger. »Charlie, du kannst das Geld doch auftreiben, oder?«
»Ich?«, sagte ich ungläubig. »Wo soll ich das Geld denn hernehmen?«
Er stand auf und schaute auf mich herunter. »Charlie«, sagte er. »Lass jetzt bloß nicht den Idioten raushängen.«
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 24.06.2006