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Biologe Hubert Schatz

»Ein Bär, der die menschliche Nähe nicht mehr scheut, ist als Risikobär einzustufen.«

Leitartikel
Ein Bär in Bayern

Der Mensch
und die
echte Natur


Von Wolfgang Schäffer
Ein Bär! Ein Bär! Kaum jemand, der den Weg des Tieres durch die Alpen zunächst nicht aufgeregt und mit einer gewissen Begeisterung mitverfolgt hat.
Angst? Nein, Angst hatte Meister Petz den Menschen zu Beginn seiner inzwischen viele Kilometer langen Wanderung nicht gemacht. Stattdessen drückten viele die Daumen, dass es das zottelige Tier schaffen würde, die Grenze nach Deutschland zu überschreiten.
Ein Bär! Ein Bär! Der erste in freier Wildbahn nach 170 Jahren. Endlich war er da. Doch statt sich zu benehmen, möglichst unauffällig im Wald ein paar Beeren zu pflücken und sich vielleicht dem einen oder anderen Touristen für einen Schnappschuss zu zeigen, macht sich das Tier doch unversehens unbeliebt. Es reißt Schafe, dringt sogar direkt neben einem Wohnhaus in einen Hühnerstall ein.
Ein Bär! Ein Bär! Inzwischen klingt dieser Ruf schon eher ängstlich. Die Folge des ungezügelten Lebens: Der Bär ist zum Abschuss frei.
Der entsetzte Aufschrei der Tierschützer nach dieser Entscheidung ist von der Ostsee bis zum Königssee zu hören. Ein Widerspruch, der zwangsläufig kommen musste und sicherlich ansatzweise auch berechtigt ist.
Grundsätzlich sollte natürlich alles getan werden, um das Leben des Bären zu erhalten. Im besten Fall tappt Meister Petz in eine ihm gestellte Falle, und er kann unversehrt dorthin »abgeschoben« werden, wo er seinen langen Marsch begann. Alle anderen »humanen« Möglichkeiten sind schon schwieriger. Der »einfache« Schuss mit einem Betäubungsgewehr ist nicht wirklich einfach. Schwer zu dosieren, zudem nur für Tierärzte erlaubt. Dennoch sollte dieses Vorgehen vorangetrieben werden. Einfangen und im Zoo unterbringen ist nach Ansicht von Experten unmöglich. Das Tier kann sich in ein solches Umfeld nicht mehr eingewöhnen.
Bei allem Mitgefühl für Meister Petz und der Freude darüber, dass sich erstmals nach 170 Jahren wieder ein Bär in freier Wildbahn nach Deutschland verirrt hat - dieser zottelige Geselle ist keineswegs niedlich oder kuschelig, sondern ein wildes Tier, das blindwütig Schafe und Hühner reißt. Und das sogar in unmittelbarer Nähe menschlicher Ansiedlungen. Man stelle sich nur vor, das Tier würde einen Menschen anfallen.
Ein Bär! Ein Bär! Der Aufschrei des Entsetzens wäre groß - käme jedoch zu spät. Bei allem Respekt vor dem Leben dieses Pelzträgers und dem Leben im Allgemeinen: Ein wildes Tier, das die menschliche Nähe nicht mehr scheut, ist ein Problem. Die »echte« Natur und das menschliche Wesen haben sich schlichtweg zu weit voneinander weg entwickelt, um noch im Einklang miteinander leben zu können.
Aus diesem Grund ist zu hoffen, dass sich Meister Petz wieder auf den Weg in die Tiefen der ihn schützenden Wälder macht. Vielleicht wird ihn dort irgendwann ein Wanderer erspähen und vor sich hin flüstern: Ein Bär! Ein Bär!

Artikel vom 24.05.2006