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Integration vollzieht sich nicht von allein

Bertelsmann-Forum: Schäuble diskutiert mit den Professoren Birg und Tibi

Von Dirk Schröder
Gütersloh (WB). Jahrelang hat die Politik in Deutschland geglaubt, Integration vollzieht sich von alleine. »Ein Irrtum«, wie gestern Abend Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble beim Bertelsmann-Forum in Gütersloh einräumte.
Empfindet Fremdheit nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung: Wolfgang Schäuble. Foto: Wotke

Zusammen mit dem Bielefelder Bevölkerungswissenschaftler Professor Herwig Birg und dem Islam-Forscher, Professor Bassam Tibi von der Universität Göttingen, diskutierte der CDU-Politiker die Frage, ob Zuwanderung sozialer Sprengstoff oder die letzte Hoffnung für unsere alternde Gesellschaft ist. Zwischen den drei Meinungen moderierte die »heute«-Moderatorin beim ZDF, Annika de Buhr.
Birg vertrat die Auffassung, dass Deutschland vor 30 Jahren noch die Möglichkeit gehabt habe, die Schrumpfung der nachwachsenden Generationen durch eine Erhöhung der Geburtenrate aufzuhalten. Stattdessen habe es seine Zukunft aufs Spiel gesetzt und das Experiment gewagt, die im Inland fehlenden Geburten durch Einwanderer zu ersetzen. Birg: »Heute, sozusagen 30 Jahre nach zwölf, lässt sich eine weitere Alterung für ein halbes Jahrhundert nicht mehr verhindern.« Durch die falsche Weichenstellung - Generationenersatz durch Einwanderung - habe man das Problem nicht gelöst, sondern noch verschlimmert. Birg meint damit die sozialen Spannungen und die Absenkung des Bildungsniveaus, die mit der Migration und Integration einhergegangen seien.
Schäuble sieht auch die »dramatischen Verwerfungen der Altersstruktur« aufgrund der niedrigen Geburtenrate. Er setzt jedoch auf eine »intelligente Zuwanderungspolitik« und die Familienpolitik, wie sie von der Großen Koalition in Angriff genommen worden sei. Die Politik müsse Anreize bieten, um die Geburtenrate zu steigern. Das bedeute, mehr Betreuungsmöglichkeiten für die Kinder zu schaffen, den Frauen mehr Teilzeitarbeitsplätze und mehr Karrieremöglichkeiten bieten. Schäuble: »In den Ländern in Europa, wo die Situation der Frauen verbessert worden ist, sind auch die Geburtenraten höher.«
Nach Schäubles Meinung ist die »gefühlte Integration« so schlecht, weil die zweite und dritte Generation der Zuwanderer schlechter integriert sei, als die erste Generation. Als nicht akzeptabel bezeichnete Schäuble den Islamismus, der sich gegen die freiheitliche Grundordnung richte. Es müsse gelingen, dass die Muslime in Europa Werte wie Menschenrechte und Toleranz akzeptieren.
Tibi, selbst Muslim und deutscher Staatsbürger, hält die Fremdenfeindlichkeit des Alltags für viel schlimmer als die, die für Schlagzeilen sorgt. Der gebürtige Syrer betonte aus eigener Erfahrung, auch wenn man die Sprache beherrsche, sei man trotzdem nicht integriert. Integration steht für ihn auf drei Beinen: Erstens: Wirtschaftlich -ÊSozialhilfeempfänger ließen sich nicht integrieren. Zweitens: Juristisch - das sei der Pass. Drittens: Kulturell - Sprache sei dabei nur ein Teil der Integration.

Artikel vom 23.05.2006