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Milliarden-Poker um Aktien
von Bertelsmann eröffnet

Neuer Aufsichtsrat: E.ON-Chef Dr. Wulf Bernotat.

Medienkonzern erwägt Rückkauf und bereitet Börsengang vor

Von Bernhard Hertlein
Gütersloh (WB). Die Uhr läuft. Heute, einen Tag nach der Hauptversammlung der Bertelsmann AG, kann der belgische Milliardär und Miteigentümer Albert Frère erstmals auch formal den Börsengang des Medienkonzerns fordern. Dann muss der Vorstand mit den konkreten Vorbereitungen beginnen.
Sie gehen künftig voraussichtlich wieder getrennte Wege: Bertelsmann-First-Lady Liz Mohn (64) und CBL-Hauptaktionär Albert Frère (80).
Angekündigt hat Frères Finanzanlagegesellschaft Groupe Bruxelles Lambert (GBL) bereits, dass sie die Option eines Börsengangs ziehen möchte. Wann Sie dies tun wird, ist offen. Der entsprechende Brief oder Telefax kann also täglich in Gütersloh eintreffen.
Der Bertelsmann-Vorstand gab sich gestern nach der Hauptversammlung gelassen: Das Unternehmen erfülle jetzt schon die Anforderungen des Kapitalmarktes und sei auf einen Börsengang vorbereitet. Ausdrücklich erwähnt der Vorstandsvorsitzende Dr. Gunter Thielen in einem Brief an die Mitarbeiter jedoch auch die andere Option, den Rückkauf der Aktien »zu einem angemessenen Preis«. Thielen dementierte Mutmaßungen Außenstehender, wonach eine solche Finanzaktion den Medienkonzern auf Jahre hinaus von größeren Investitionen abhalten werde. Vorstand und die Familie Mohn als Mehrheitsaktionär seien sich im Gegenteil einig, dass die finanzielle Solidität der Bertelsmann AG erhalten bleibe.
Der Wert des von der Finanzgesellschaft gehaltenen Anteils von 25,1 Prozent wird in Gütersloh auf 3,5, in Brüssel dagegen eher auf fünf Milliarden Euro geschätzt. Was ein »angemessener Preis« ist, darüber wird man also in den kommenden Wochen debattieren. Mitglieder der Familie Mohn verfügen direkt und indirekt über 74,9 Prozent der Aktien und über 75,0 Prozent der Stimmrechte.
Auch die Frage, wie Bertelsmann diese Summe finanzieren will, ist seit Wochen Gegenstand von Spekulationen. Die meisten Beobachter rechnen derzeit mit einem Verkauf des Musikverlages BMG Music Publishing. Geschätzte Einnahme: 1,3 Milliarden Euro. Der Rest müsste größtenteils von den Banken vorfinanziert werden.
Bertelsmann will also mit GBL über einen Rückkauf der Aktien verhandeln, den Börsengang aber gleichzeitig weiter vorbereiten. Spekulationen der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« über unterschiedliche Auffassungen zwischen Liz Mohn und Thielen, der einem Börsengang offener gegenüber stehe als die Mehrheits-Eigentümerin, wurden von Bertelsmann-Sprecher Andreas Grafenmeyer entschieden dementiert: »Daran ist nichts wahr.«
Die Hauptversammlung, die in Gütersloh stattfand und bei der GBL durch den Kanadier André Desmarais und den Belgier Gilles Samyn vertreten wurde, entschied auch über eine Neubesetzung des Aufsichtsrates: Dr. Wulf Bernotat, seit drei Jahren Chef des größten deutschen Energiekonzerns E.ON AG, wird künftig Christian van Thillo, Vorstandsvorsitzender der flämischen Mediengruppe De Persgroep NV, ersetzen.
S. 4: Kommentar

Artikel vom 23.05.2006