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Einziger Strom der Melancholie

Claude Debussys Oper »Pelleas und Melisande« am Theater Bielefeld

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Sie ist und bleibt ein Ausnahmefall, eine Oper, die mit dem Verharren in der Stimmung des Augenblicks mehr lyrischer als dramatischer Natur ist, die anstelle der Handlung die Andeutung setzt und sich generell der operntypischen Formensprache verweigert. »Pelleas und Melisande« von Claude Debussy ist ein Werk für Liebhaber der Zwischentöne, des Uneindeutigen und Rätselhaften.

Ein dunkles Seelendrama dazu, das Bruno Klimek in seiner aktuellen Inszenierung am Theater Bielefeld in eindringlichen, beklemmenden Bildern auf die Oetkerhallenbühne bringt. Entzündet sich der äußerliche Konflikt und die daraus resultierende Tragödie an der Dreieckskonstellation einer Frau zwischen zwei Männern, so kehrt Klimek stark die inneren Befindlichkeiten eines jedes Einzelnen nach außen.
Klimeks Personen sind von Anfang an gebrochene Typen, verirrte und verwirrte Menschen, die unter Einsamkeit und Selbstentfremdung leiden, unfähig, zu sich, geschweige denn zu anderen zu finden. Es sind traumatisierte, beladene Gestalten, die ihre seelischen Lasten nicht aufgearbeitet, statt dessen Macken und Marotten entwickelt haben.
Wer sich vom seelischen Müll nicht befreien konnte, stolpert unbeholfen durchs Leben, zeigt Klimek, der die ansonsten naturbelassene Bühne mit unzähligen schwarzen Müllsäcken übersät hat. Sie stehen sinnbildlich für Hindernisse, aber auch für eine degenerierte Gesellschaft. Vertikal von der Decke hängende Schnüren lassen Szenen und Bilder durch ihre Schwingungen immer wieder entgleiten und verursachen jene für das Stück so typische Unschärfe, die mit Dunkelheit und Tristesse Hand in Hand geht. Geisterhaft und unwirklich erscheinen die Akteure, obwohl sie farbenfrohe historische Kostüme tragen (Andrea Göttert).
Einzig die Musik verleiht dem Stück und seinen Personen Kontur. GMD Peter Kuhn und die bestens aufgelegten Bielefelder Philharmoniker kreieren mit nicht nachlassender Spannung einen unendlichen Strom der inneren Erregung und Melancholie und lassen feinste Klangschattierungen und Schwebungen subtil aufblitzen. Die wenigen dramatischer gefärbten Ausbrüche werden dagegen effektvoll ausgespielt.
Darstellerisch und gesanglich brillante Sänger und Sängerinnen formen diese Inszenierung zu einem großartigen -Êwenn auch beklemmend düsterem -Ê Ganzen. Namentlich Melanie Kreuter (Melisande), Michael Bachtadze (Golaud), Luca Martin (Pelleas), Jacek Janiczewski (Arkel), Kaja Plessing (Genevieve), Cornelie Isenbürger (Yniold) und Yun Geun Choi (Arzt/Hirte).

Artikel vom 23.05.2006