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Große Herzen aus Paraguay

WM-Paten (Folge 30): Espelkamper Rudi Hübert hält zur alten Heimat

Von Ingo Notz (Text und Foto)
Lübbecke (WB). »Die sind verrückt!« Ein Lächeln zieht durch Rudi Hüberts markantes Gesicht, als seine Gedanken in seine alte Heimat Paraguay reisen. »Fußballtechnisch gesehen ist das Land wahnsinnig. Die Leute dort sind richtig fanatisch.«

Die Leute, das sind auch seine Leute: Seit 35 Jahren lebt Hübert in Espelkamp, doch wenn er von Heimat spricht, spricht er über Paraguay. Faust grüßt Fußball: Bei der Weltmeisterschaft schlagen zwei Herzen in seiner Brust.
Die Reihenfolge ist klar: Paraguay ist die Nummer 1, Deutschland die Nummer 1b. Der 51-Jährige ist Deutscher und auch als solcher geboren worden - in Paraguay. »Wir waren dort eine rein deutsche Kolonie, haben in einem kleinen Dorf mit fünf Familien gelebt, wie die Amish-Leute. Null Strom, kein fließendes Wasser.«
Die Kicker-Leidenschaft wurde erst in der Schule geweckt. Seitdem aber brennt das Fußball-Feuer - mittlerweile für den aktuellen Kreismeister FC Preußen Espelkamp, aber vor allem für die Nationalelf der alten Heimat.
Die WM wird in Espelkamp groß gefeiert. Und in Paraguay? »Das Leben spielt sich dort in der Hauptstadt ab. Es treffen sich alle auf Plätzen oder in Bars. Dort ist es nicht selbstverständlich, dass jeder einen Fernseher hat. Paraguay gehört zu den ärmsten Ländern Südamerikas - 90 Prozent der Menschen schlagen sich einfach so durch.« Trotzdem oder gerade deshalb: Fußball findet überall Platz. Ist aber im Weltsport Platz für Paraguay - auch nach der Gruppenphase? »Ich hoffe, dass wir die Vorrunde überstehen.«
Gerne erinnern sich die Espelkamper Paraguayanos noch an die WM 2002. Jedenfalls bis zum Achtelfinale, als das Aus ausgerechnet gegen Deutschland kam. Früh morgens trafen sich zwei Dutzend Deutsche aus Paraquay im Vereinsheim des FC Preußen und feierten. Gefeiert wurde auch trotz des erneuten Achtelfinalausscheidens - genau wie 1998.
Und doch hat diese Erfahrung Spuren hinterlassen - und so wünschen sich Hübert und seine deutsch-paraguayanischen Freunde vor allem eins: »Gegen Deutschland im Endspiel zu stehen, aber nicht wieder vorher gegen sie rausfliegen.«
Diese Möglichkeit besteht durchaus -Êdie Auslosung hat Paraguay eine ähnliche Konstellation wie vor vier Jahren beschert. Diesmal kreuzen sich die Wege des Gruppensiegers der »Deutschland-Gruppe« mit dem Zweitplatzierten der »Paraguay-Gruppe« wieder im Achtelfinale. Und wenn auch die Mehrheit der Deutschen für den Fall der Fälle eher auf England oder Schweden als mögliche Achtelfinal-Gegner spekuliert - chancenlos sehen sich die Paraguayanos nicht. »England ist sehr stark. Schweden weiß ich nicht genau, Trinidad auch nicht - aber das müssten wir schaffen. Gegen England wäre es der Knaller, wenn wir einen Punkt holen würden. Der Knackpunkt wird sicher das Spiel gegen Schweden.«
Letztlich gilt aber auch für Paraguay: »Wer Weltmeister werden will, muss alle schlagen.« Hübert, der selbst jahrelang in Espelkamp gespielt und als Trainer gearbeitet hat, grinst. Favoriten sind aber andere. »Brasilien ist für mich Topfavorit, die deutsche Abwehr ist dafür zu lächerlich.«
Eine »Niederlage« musste er dieses Jahr schon in seiner alten Heimat einstecken. »Wir haben versucht, an WM-Karten zu kommen, hatten gedacht, dass es dort leichter sei. Aber da war auch nichts zu bekommen. 3500 Dollar hätte man für drei Tickets, Hotel, Transfer und Flug zahlen müssen.« Und so werden die Espelkamper Paraguayanos die Spiele so verfolgen, wie sie ihre Helden wie Valdez, dos Santos und Santa Cruz auch sonst beobachten: im Fernseher. Paraguay hat sich stets durch seine Verteidigung ausgezeichnet, mit Paradiesvogel Chilavert im Tor als Superstar, doch mittlerweile sind auch Offensivkräfte international gefragt. Nicht nur die in Deutschland bekannten Paraguay-Stars lassen Hübert daher hoffen: »Das ist keine No-Name-Truppe, die sollte man nicht unterschätzen!« Und wenn es dann doch zum Duell mit Deutschland kommen sollte - und eventuell erneut zum Aus für Paraguay? Dann greift Plan B der Deutschen aus Paraguay: »Wir haben ein großes Herz - wir sind für beide.«

Artikel vom 24.05.2006