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Atomares Wettrüsten in Nahost ein Alptraum

Heute im Gespräch: Joschka Fischer, ehemaliger deutscher Außenminister und Israel-Kenner

Tel Aviv (WB). Israel glaubt nicht mehr an einen Verhandlungsfrieden. Deutschlands Ex-Außenminister Joschka Fischer hält dagegen. »Kein Friede ohne Partner«. Reinhard Brockmann traf den ehemaligen Vizekanzler in Tel Aviv.
Israel hat keinen Verhandlungspartner mehr. Was tun?Fischer: Die Skepsis ist groß auf Israels Seite. Ohne jeden Zweifel war der Rückzug aus Gaza von entscheidender Bedeutung. Die Palästinenser sollten begreifen, welchen historischen Schritt Israels Suche nach Grenzen und nicht nach Territorien darstellt. Wer die Geschichte Israels und des Zionismus kennt, der weiß um den hohen Wert des Gaza-Rückzugs.

Fatah und Hamas stehen kurz vor einem Bürgerkrieg. Hat die Diplomatie noch eine Chance? Fischer: Die Palästinenser sollten sehen, welche Chancen ein Ausgleich bietet, wenn man einen Kompromiss anstrebt. Das ist die Situation. Ohne Verständigung kann es keine dauerhafte Lösung geben.

Was muss jetzt geschehen? Fischer: Man muss die Kräfte auf der palästinensischen Seite stärken, die an einer realistischen Lösung interessiert sind. Das wird nicht einfach und eine längere Anstrengung. Die Grenzfestlegung durch Israel bedeutet, dass man des Einverständnisses der Nachbarn bedarf. Vielleicht bietet es auch eine Chance, wenn beide Seiten einen Schritt zurücktreten und eine Denkpause einlegen, um dann auf neuer Grundlage einen neuen Ansatz zu haben. Die Alternative wäre, dass die Entwicklung in Terror und Gewalt zurückrutscht.

Israel stand immer mit dem Rücken zum Meer. Wie gefährlich ist die Drohung aus Teheran?Fischer: Ein nuklearisierter Iran wird nicht nur eine existenzielle Bedrohung für Israel darstellen. Ob Teheran dieser Sicht zustimmt oder nicht: Es wird damit zu einem Faktum. Ich habe das der iranischen Seite oft genug gesagt. Auch die anderen Nachbarn in der Region sind in tiefer Sorge und werden reagieren. Dadurch werden wir Europäer eine völlig veränderte Sicherheitslage haben und gleichfalls reagieren müssen. Das alles geschieht dann in einer Region, die hochgefährlich ist, in der es viele Krisen gibt und in der nicht ein Problem wirklich gelöst ist. Die Vorstellung eines atomaren Rüstungswettlaufs im Nahen Osten ist ein Albtraum für Europa.


Was kann Deutschland tun? Sollte Berlin Irans Präsident Ahmadinedschad ächten?Fischer: Ich finde, dass die Bundesregierung in der Kontinuität dessen, was wir angefangen haben, alle Anstrengungen unternimmt. Entscheidend wird sein, ob es ein klares Angebot geben kann in der Gestalt, dass die USA mit an den Verhandlungstisch gehen.

Auch Ihr zweiter Ehrendoktor wurde von einer israelischen Uni verliehen. Was verbindet sie mit Israel: Liebe oder Fürsorge?Fischer: Wer unsere eigene Geschichte kennt, die Verantwortung dafür anstrebt und das auch spürt, der wird wissen, dass wir immer ein besonderes Verhältnis haben werden. Es geht gar nicht anders. Es ist immer auch ein Blick in unsere eigene Geschichte - und zwar in die furchtbarsten, aber auch in die produktivsten Kapitel. Israel ist ein wunderbares Land und es sind wunderbare Menschen, es ist ein sehr modernes Land, aber auch voll beladen mit Geschichte.
Liebe beziehe ich immer auf Menschen in einem Land und ich habe hier sehr viele gute Freunde gefunden.

Artikel vom 24.05.2006