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Angela Merkel

»Es gibt eine wachsende Offenheit, über Menschenrechte zu sprechen.«

Leitartikel
Merkel im Reich der Mitte

Lächeln auf gleicher Wellenlänge


Von Reinhard Brockmann
Sollte Angela Merkel künftig nur noch Außenpolitik betreiben? Nach allen Bildern und Eindrücken, die uns in diesen Tagen aus China erreichen, setzt die Kanzlerin ihren Erfolgskurs auf internationalem Parkett fort. So wie sie Deutschland unmittelbar nach Regierungsantritt wieder ein Stück näher an die USA heranrückte und zu Russland auf kritisch-konstruktivere Distanz ging, so scheint ihre wohldosierte Charmeoffensive in China zu verfangen.
Im Geschäft mit den internationalen Beziehungen geht es sehr viel mehr ums Klima als um die konkreten Regentropfen und Sonnenstrahlen selbst. In dieser Sphäre beweist die gelernte Oppositionsführerin offenbar Naturtalent. Jenseits nationaler Niederungen um Hartz-IV, Gesundheitskosten und Fragen des Arbeitsrechtes kann die Kanzlerin in Peking und Schanghai die langen Linien des Merkel'schen Politik-Entwurfes klarer zeichnen. Fernöstliches Harmonieverständniss lässt sich durchaus in Übereinstimmung bringen mit dem hierzulande stets angestrebten »breiten Konsens«.
Ihr Werben um den Austausch junger Leute verbunden mit der gegenseitigen Förderung deutscher und chinesischer Sprachkenntnisse war mehr als eine Standardformel. Die nur scheinbare Pflichtübung steht im Zusammenhang mit gezielten Anstößen auf so unterschiedlichen Gebieten wie Menschenrechte, Kopierschutz und Rechtssicherheit,
Allein das »feierliche« Versprechen des chinesischen Regierungschefs Wen Jiabao, mehr zum Schutz des geistigen Eigentums zu tun, hängt existenziell am Bestehen guter und belastbarer Beziehungen. »Du sollst nicht stehlen« ist nicht allein ein abendländisches Gebot, sondern in Asien auch eine Frage der Ehre. Insofern ist diese ungeschriebene Zusage eines Staatsmannes an die deutsche Kanzlerin ein Erfolg.
Merkels Treffen mit Aktivisten der in bitterster Armut darbenden Wanderarbeiter war gleichfalls ein mit Geschick gewählter und vor dem wichtigsten Empfang in Peking terminierter Programmpunkt. Erst die direkte Ansprache des äußerst brisanten Menschenrechtsthemas auf höchster Ebene, dann eine Austausch mit Gutmenschen aus dem Bereich gemäßigter Opposition: Merkel war bestens beraten.
Anders als Gerhard Schröder und dennoch die Linie der deutschen China-Politik fortführend zeigte Merkel, wie es geht. Der Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen ist ihr das wichtigste Anliegen, direkt gefolgt vom Verlangen nach Humanität und demokratischer Teilhabe. »Es gibt eine wachsende Offenheit, über Menschenrechte zu sprechen«, konnte Merkel hinterher öffentlich kundtun. Das bedeutet allerdings nicht, dass sich sofort etwas ändert an der weltweit größten Zahl an Hinrichtungen, an Polizeistaatsmethoden und radikaler Unterdrückung abweichender Meinungen.
Gut zu wissen: Merkels Lächeln und das ihrer Gastgeber funkt inzwischen häufiger auf der gleichen Wellenlänge.

Artikel vom 23.05.2006