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Montenegro ist ein Zwerg -Êkaum doppelt so groß wie OWL.

Leitartikel
Montenegro

Herzlichen Glückwunsch zur Geburt


Von Bernhard Hertlein
Die bevorstehende Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland ist um ein Unikum reicher. Letztmals wird für Serbien und Montenegro eine gemeinsame Nationalmannschaft auflaufen. Die Statuten der Fifa sehen dies vor, obwohl Montenegro gerade als 46. Staat Europas seine Unabhängigkeit erklärt hat.
Die Bilder aus Podgorica, dem früheren Titograd, aus Cetinje, der ehemaligen Königsstadt, sowie aus anderen Städten und Gemeinden des neuen Staates zeigten in der Nacht zum Montag begeisterte Menschen und ein Meer der roten Fahnen, die ein goldener Doppeladler schmückt. Auf den Straßen jubelten vor allem die Jungen. Für sie ist die Loslösung von Serbien die Befreiung von allem Alten. Sie sehen die Chance, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.
Leicht wird es nicht. Montenegro ist ein Zwerg -Êkaum doppelt so groß wie Ostwestfalen-Lippe. Die Zahl der Einwohner ist sogar wesentlich kleiner, nicht einmal ein Drittel von OWL. Selbst im Sport reiht sich das Land eher hinten ein. Für die Nationalelf mit Serbien stellt es zwei Spieler.
Wirtschaftlich gehen die Prognosen auseinander. Einerseits liegt die Arbeitslosenrate schon offiziell nur knapp unter 20 Prozent. Das monatliche Durchschittseinkommen - ausgezahlt übrigens in der Währung der Europäischen Union - erreicht nur 310 Euro. Besonders unter den Alten ist die Not groß.
Andererseits hat Montenegro von der Union mit Serbien nicht profitiert. Kein Steuergroschen floss aus Belgrad in die Teilrepublik. Das macht den Neustart leicht. Zudem erzielt der Tourismus als Haupteinnahmequelle Steigerungen von jährlich zehn Prozent. 820 000 zog es zuletzt an die Adria oder in die reizvoll zerklüftete Landschaft der schwarzen Berge -Ê210 000 mehr als der Staat überhaupt Einwohner hat.
Hinter dem Unabhängigkeitsvotum steht natürlich auch der Wille, in die EU aufgenommen zu werden -Êverbunden mit der Erkenntnis, dass die Gespräche ohne Serbien leichter und schneller zum Ziel führen werden. Brüssel hat es den Montenegrinern nicht leicht gemacht. Umso größer ist die Achtung, dass trotzdem das geforderte Quorum von 55 Prozent erreicht wurde -Êbei einer Wahlbeteiligung von fast 87 Prozent. Die Regierung des Ministerpräsidenten Milo Djukanovic wird nun versuchen, die 32 Prozent Serben wieder ins Boot zu nehmen.
Der neue Staat, später wiedergeboren als die anderen Teilrepubliken Ex-Jugoslawiens, steht vor keiner leichten Aufgabe. Doch die ganz großen Probleme auf dem Balkan lauern nicht hier, sondern im Kosovo, in Bosnien-Herzegowina, in der Republik Srpska und in der Vojvodina.
Werden die Montenegriner jubeln, wenn die gemeinsame Elf mit Serbien in der Gruppe C gegen Elfenbeinküste, Argentinien und die Niederlande punkten wird? Es ist zu vermuten - und zu hoffen. Eine Abspaltung hinterlässt immer einen Riss. Es ist aber innen- noch außenpolitisch im Interesse des neuen Staates, dass dieser größer wird.

Artikel vom 25.05.2006