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Ahn ist der Hoffnungsträger

WM-Paten (Folge 29): Bielefelder Seung Pyo Lee erwartet Südkorea-Siege

Von Peter Monke und
Markus Poch (Foto)
Bielefeld (WB). Das Heimatland seiner Eltern kennt Seung Pyo Lee (21) fast ausschließlich aus Erzählungen. Erst zwei Mal ist er selbst für kurze Zeit in Südkorea gewesen. »Dass ich koreanische Wurzeln habe, sehe ich nur, wenn ich morgens in den Spiegel schaue. Im Alltag und vor allem unter meinen Freunden fühle ich mich als Deutscher«, sagt er.

Bei Fußball-Weltmeisterschaften entdeckt der Bielefelder Lee seine Sympathien für Südkoreas Nationalmannschaft jedoch stets aufs Neue. Schließlich verbindet er mit den »Taeguk Warriors« - so nennen die Südkoreaner ihre Elf in Anspielung auf die »Taeguk« bezeichnete Nationalflagge - seine schönsten Fußball-Erinnerungen. Erst vier Jahre ist es her, dass Südkorea gemeinsam mit Japan selbst die globalen Titelkämpfe ausrichtete und als erste asiatische Mannschaft überhaupt das Halbfinale erreichte. Endstation damals: Deutschland.
»Wen wir bei diesem Turnier alles rausgehauen haben, war sensationell«, sagt Lee. Bis heute bedauert er es, das 1:0 der Südkoreaner im Viertelfinale gegen Italien seinerzeit nicht live vor dem Fernseher verfolgt zu haben. Durch die Zeitverschiebung lief nicht nur diese Partie ungünstig - während der Schulzeit. Immerhin versorgte ein extra abonnierter Handy-Nachrichtendienst Lee per Kurzmitteilung über die aktuellen Spielstände. »Einmal haben sie ein Tor drei Mal geschickt. Dafür bin ich aus dem Unterricht geflogen.«
Als aktiver Fußballer betätigt sich der 21-Jährige, der derzeit seinen Zivildienst beim Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband absolviert, nur selten. »Während der Schulzeit hatte ich im Sport meist eine 4.« Vor einigen Jahren versuchte er, gemeinsam mit ein paar Freunden eine eigene Fußballmannschaft aufzubauen. Das Projekt ging jedoch schief. »Anfangs waren wir 15 Personen, aber die meisten sind schnell wieder abgesprungen«, erzählt er. Tatsächlich reichte es nicht einmal zu einem Spiel in der Kreisliga C.
Über Südkorea erzählt Lee: »Die Menschen dort sind höflich und hilfsbereit, aber insgesamt ist die Gesellschaft sehr hierarchisch strukturiert, wobei Alter und soziale Stellung von enormer Bedeutung sind.« Seine Eltern kamen in den 70er Jahren als Gastarbeiter nach Deutschland, zunächst mit der festen Absicht, in ihr Heimatland zurückzukehren. Vater Kyu Hung Lee schuftete erst im Bochumer Bergbau, wechselte dann zur Firma Miele nach Bielefeld, wo er als Spülmaschinen-Monteur arbeitet. Zurück nach Korea will Familie Lee heute nicht mehr - Seung Pyo am allerwenigsten. »Ich bin in Deutschland sozialisiert, habe hier meine Freunde und kann ohnehin nicht besonders gut Koreanisch sprechen«, sagt er.
Nach seinem Zivildienst will er ein Mathematik-Studium an der Universität Bielefeld beginnen, vielleicht in Kombination mit Wirtschaftswissenschaften, Biologie oder Physik. Sein Fernziel ist eine Tätigkeit als Firmenberater, der Konzernen aufzeigt, wie sie ihre Gewinne maximieren können. »Ich will mal richtig gut verdienen, um nicht auf die Rente angewiesen zu sein.«
Zukunftsmusik. In den kommenden Wochen gilt sein Interesse vorerst dem Fußball. »Wenn Südkorea ins Viertelfinale käme, wäre das eine größere Leistung als das Halbfinale vor vier Jahren, weil die Mannschaft diesmal keinen Heimvorteil hat.«
Die Chance auf eine Überraschung durch die »Taeguk Warriors« sei angesichts der Gruppenauslosung durchaus gegeben. »Gegen Frankreich gibt es eine 0:4-Klatsche, aber gegen die Schweiz und gegen Togo gewinnen wir mit jeweils zwei Toren Unterschied.« Die größten Hoffnungen setzt Seung Pyo Lee dabei auf Stürmer Jung-Hwan Ahn, Teenie-Idol und Topstar der Asiaten bei der Weltmeisterschaft 2002.
Wo er die WM verfolgen wird, weiß Lee noch nicht, da er keinen eigenen Fernseher besitzt. Seine Freunde werden ihm wohl aus der Patsche helfen, schließlich lassen sich Südkoreas Tore in geselliger Runde am besten bejubeln.

Artikel vom 23.05.2006