23.05.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Wenn Frauen in die Luft gehen

Bielefelderin stellt Heldinnen vor, die über Teuto und Wiehen flogen

Von Lars Rohrandt
Bielefeld/Detmold (WB). Fliegen -Êdas ist reine Männersache: Man benötigt technisches Verständnis, Kraft, Übersicht und Furchtlosigkeit. So dachte man zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als der Mensch anfing abzuheben. »Doch auch Frauen träumten von Schwerelosigkeit und grenzenloser Freiheit«, erzählt Bärbel Sunderbrink.
Bärbel Sunderbrink forscht über fliegende Frauen. Foto: Rohrandt

Die Bielefelder Archivarin und Historikern hat nach ihnen gesucht, den Frauen, die über den Teuto und Wiehen flogen, den »Heldinnen der Lüfte«. Und sie hat sie gefunden. Sunderbrinks Forschungen flossen in die Ausstellung »Ikarus-Maschinen. Luftfahrt in Ostwestfalen-Lippe« im Detmolder Freilichtmuseum ein. Im Juni erscheint der Begleitband.
»Bis 1914 legten in Deutschland 800 Männer eine Pilotenprüfung ab, aber nur drei Frauen«, erzählt die 39-Jährige. Drei Jahre zuvor hatte im Kaiserreich die Begeisterung für das Fliegen begonnen. Dem ersten Deutschlandflug sei dank. Die Lipper verbuchten eine Sensation: Im Oktober 1911 sollte in Detmold Melli Beese, Deutschlands erste Fliegerin, 25 Jahre alt, auftreten. »Doch die Veranstalter waren noch zu unerfahren«, erklärt Sunderbrink. Niemand hatte an stabile Absperrungen gedacht: Als Beese starten wollte, durchbrachen tausende Schaulustige die Zäune. Beese startete nicht. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs endete das Sportfliegen. Flugzeuge, von Männerhand gesteuert, dienten fortan als Kampfmittel.
1924 sollte die erste Frau am OWL-Himmel auftauchen. Fallschirmspringerin Helly Tussmar war im November in Paderborn. Doch das Wetter machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Ein Jahr später war es dann in Paderborn so weit. Die Münchnerin Lola Schröter war die erste Frau, die den heimischen Himmel eroberte. »Dieser Sprung aus 700 Metern Höhe war ihre Feuertaufe. Lola wurde zur erfolgreichsten deutschen Fallschirmspringerin.«
Auch Lisl Schwab aus Ingolstadt feierte ihre Premiere in der Region. Dem Sprung am 30. Juli 1926 in Bad Oeynhausen folgten 221. Während des Zweiten Weltkriegs überführte Schwab Militärmaschinen an deren Einsatzorte. Sunderbrink: »Damit war sie eine der wenigen Frauen, die in der Luftwaffe einen solchen Posten bekleidete.« Eine weitere war Beate Uhse, die spätere bekannte Flensburger Unternehmerin. Für kurze Zeit erlangte die Bielefelderin Erna Kleineberg Berühmtheit. Ihr erster Sprung in Bielefeld-Quelle 1928 sollte aber zugleich ihr letzter in ihrer Heimat sein. Denn nur eine Woche später stürzte ihr Ehemann Heinz in Paderborn in den Tod. »Trotz vieler Angebote sprang sie nie wieder.«
Bis 1939 gab es mehrere hundert Motor- und Segelfliegerinnen. Frauen waren gute Werbeträgerinnen für die Flugtage. Die erste Frau, die vom Himmel über Ostwestfalen-Lippe nicht nur sprang, sondern ihn »beflog« war Luise Hoffmann. 19 Jahre war die Gelsenkirchenerin alt, als sie 1929 über der Queller Rennbahn ihre Bahnen zog. Doch das vorläufige Ende der Heldinnen der Lüfte nahte. »Mit der Machtübernahme der Nazis wurden Frauen auf ihre traditionelle Rolle zurückgedrängt«, erklärt Sunderbrink. Noch bis Mitte der 1930er Jahre traten Stars wie die Kunstflug-Europameisterin Liesl Bach und die Weltumfliegerin Elly Beinhorn in der Region auf, dann überschattete der heraufziehende Zweite Weltkrieg die zivile Fliegerei.
»Die mutigen Frauen haben dazu beigetragen, das Vertrauen in die Fliegerei zu festigen. Sie waren Exotinnen, wurden bewundert. Feministinnen waren sie nicht«, lautet Sunderbrinks Fazit.

Artikel vom 23.05.2006