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Monster-Lordi »frisst« die Konkurrenz

Finnische Band gewinnt überraschend Song Contest - deutscher Titel nur auf Rang 15

Athen/Hamburg (dpa). Monströse Überraschung beim Eurovision Song Contest: Der Sieg der finnischen Hardrock-Band Lordi hat die Grand-Prix- Gemeinde erschüttert. Mit Monstermasken, martialischen Kostümen und krachenden Gitarren bildeten sie am Samstagabend in Athen die Antithese zum reichlich vertretenen Einheits-Euro-Pop, der wieder mit Tanzeinlagen und viel nackter Haut zu punkten versuchte.

Der ARD bescherte die Drei-Stunden-Show eine Traumquote: 10,49 Millionen Menschen sahen zu, 3,5 Millionen mehr als 2005 - Marktanteil: 39 Prozent. Der verantwortliche NDR zeigte sich zufrieden, auch wenn die deutsche Countryband Texas Lightning nur auf Platz 15 kam. »Die fünf Cowboys sind unsere Sieger der Herzen. Der Auftritt von Texas Lightning war perfekt«, sagte NDR-Unterhaltungs-Chef Jan Schulte-Kellinghaus.
In Finnland wurde der erste Sieg in der 50-jährigen Grand-Prix-Geschichte ausgiebig gefeiert. Bis in die frühen Morgenstunden dröhnte der Siegertitel »Hard Rock Hallelujah« aus Bars, Clubs und Wohnzimmern. Lordi selbst sieht nach dem Triumph des Heavy Metal eine neue Grand-Prix-Ära aufziehen.
Tatsächlich war der 51. Eurovision Song Contest musikalisch vielfältiger als viele seiner Vorgänger. HipHop-Songs, Twist, Balladen, Stadionhymnen, sphärische Klänge, Ethno-Pop und Country-Style mischten sich unter die unvermeidlichen Euro-Dance-Nummern. Doch zu viele Gruppen blieben beim Zuschauer farblos - zumindest im Vergleich mit den martialischen Finnen, die ein echtes Bühnenfeuerwerk zündeten und sich bei der Punktevergabe schnell an die Spitze setzten. Mit 292 Punkten distanzierten sie den Rock-Pop-Song »Never Let You Go« des russischen Sängers Dima Bilan sowie die Band Hari Mata Hari aus Bosnien-Herzegowina und deren Ballade »Lejla« deutlich auf Platz zwei und drei.
Für manche Fans des einstigen Schlager-Grand-Prix ist das Ergebnis »eine Katastrophe«, der Songcontest sei zur »Horror-Kasperlshow« verkommen, schreibt etwa ein Zuschauer. Andere jubeln: »Der Hammer! Endlich ein Weckruf!«, meint ein Fan. Die deutsche »Stimme des Grand Prix«, ARD-Moderator Peter Urban, sprach von »Geschmacksgrenzen«, die sich durch Europa zögen. Zwar gebe es durchaus so etwas wie Nachbarschaftsvoting, wo sich die ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken oder Skandinavier aus Sympathie Punkte zuschieben, aber vielfach hätten diese Völker eben auch einen ähnlichen Musikgeschmack. Lordi trafen mit ihrem Hard-Rock-Schocker aber nicht nur den Geschmack der Nordländer: 34 der 38 stimmberechtigten Länder verteilten Punkte an Finnland, darunter acht Mal die Höchstnote »twelve points«. Aus Deutschland gab zehn Punkte.
Viele deutsche Grand-Prix-Fans hatten sich aber auch vom eigenen Beitrag mehr erwartet, zumal Texas Lightning einen überzeugenden Auftritt hinlegten. Die 14 000 Zuschauer in der Olympia-Halle waren begeistert. Im Vergleich zu Lordi oder anderen spritzigen Auftritten wirkten die Musiker aus Hamburg mit ihrem Country-Pop-Song aber etwas betulich und vielleicht auch zu brav. Sie zeigten sich aber dennoch begeistert: »Wir hatten eine so schöne Zeit in Athen. Für jeden Musikanten ist es etwas Tolles, hier dabei zu sein«, sagte TV-Komiker Olli Dittrich. Immerhin: Im Vorjahr war Deutschland mit Gracia auf den letzten Platz abgerutscht.

Artikel vom 22.05.2006