20.05.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Animateur und
»Bank-Werber«

Die neue Rolle des Oliver Kahn

Pula (dpa). Sportlich ist Oliver Kahn nur noch zweite Wahl, doch als Nationalmannschafts-Animateur im Ferienparadies verhält er sich erstklassig. »Er ist eine Leitfigur, wenn er Spaß und Engagement rüberbringt, gerade für die junge Generation«, lobte Bundestrainer Jürgen Klinsmann.

Kahn fügt sich hinter Jens Lehmann in die ungeliebte und ungewohnte Rolle. Aber letztlich hofft der Kapitän des FC Bayern München immer noch auf den Platz zwischen den Torpfosten.
»Als Integrationsfigur habe ich gewisse Pflichten, aber meine vordringlichste Aufgabe ist es, mich topfit zu machen und in absolute Form zu bringen, damit ich im Ernstfall hundertprozentig Leistung bringen kann«, betonte Kahn und fand bei seinem Coach am Freitag dafür Verständnis: »Berechtigerweise macht er sich weiter einen Schuss Hoffnung. Man weiß nie, was passiert.«
Nie zuvor wurde einem deutschen Ersatzspieler vor einer WM so viel Aufmerksamkeit zuteil. Bei Klinsmann ist er nicht mehr die Nummer 1, aber bei den Journalisten war er am Medientag mit allen Spielern der gefragteste Mann. In Urlaubstracht mit blauem Shirt, weißer Hose und blauen Adiletten plauderte Kahn über Ziele und Vorstellungen, nahm den Rivalen Lehmann nach dessen Roter Karte im Champions-League-Finale in Schutz und geriet über das Golfspiel ins Schwärmen.
Klinsmann weiß um die Routine der Torhüters, der vor vier Jahren in Japan und Korea zum besten WM-Spieler gewählt worden war, und setzt auf die Karte Kahn. »Wenn er jemanden aufmuntert und motiviert, dann ist das ein Trumpf, den wir haben«, sagte der Bundestrainer. »Wenn ein Spieler diese Erfahrung und diesen Leistungsstand hat, dann hat er automatisch eine wichtige Funktion, auch wenn er auf der Bank sitzt.« Die Rolle als Bankdrücker hat Kahn zumindest als Werbestar angenommen: In einem TV-Spot nimmt er sich mit dem Spruch »Auf der Bank ist es doch am Schönsten« selbst auf den Arm.
Kahn strahlt eine neue Lockerheit aus. »Das ist ein Eindruck von außen, das kann ich nicht beurteilen«, meinte der Double-Gewinner mit dem FC Bayern, der Chancen auf einen dritten Titel bei der WM sieht. »Wenn wir einen guten Spirit und Teamgeist entwickeln, dann ist alles möglich.« Auch auf der Torhüterposition. Als Kahn im Kreis der deutschen Auswahl um 21.03 Uhr auf der Großleinwand Notbremse und Platzverweis von Lehmann sah, wurde er in seinem Entschluss bestätigt, die Länderspiel-Karriere auch als Ersatztorwart fortgesetzt zu haben. »Es zeigt, wie schnell es gehen kann, eine Rote Karte oder eine Verletzung. Für Torhüter können sich Welten ins Sekunden verändern«, erläuterte Kahn.
Das Trikot mit der Nummer 1 musste Kahn dem Londoner Rivalen Lehmann lassen. Am liebsten hätte er danach die 37 bekommen, sagte Kahn, weil er während der Weltmeisterschaft seinen 37. Geburtstag feiert. Doch zumindest aus diesem Wunsch wird beim in drei Wochen beginnenden Turnier nichts: Die FIFA lässt nur Zahlen von 1 bis 23 zu.

Artikel vom 20.05.2006