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Für die Windkraft hoch hinaus

Kein alltäglicher Job: Industriekletterer sind weltweit tätig

Bis Dennis Strohbach die fantastische Aussicht von seinem Arbeitsplatz wirklich genießen konnte, hat es eine Weile gedauert. Seit fünf Jahrend arbeitet der 30-Jährige hoch oben in der Luft, gesichert durch ein paar Karabinerhaken und ein dünnes Seil. Probleme mit der Höhe hat er längst nicht mehr.
Nichts für Menschen mit schwachen Nerven: der Abstieg an der Nabe des Rotorblatts. Ohne ein gute Ausrüstung geht da gar nichts. Und ohne gute Ausbildung erst recht nicht.
Foto: www.unendlich-viel-energie.de/Paul Langrock

Strohbach ist Industriekletterer bei einem Berliner Unternehmen. Der sportliche Typ mit dem Dreitagebart hat schon an der Fassade des Sony-Centers in Berlin gehangen und am Londoner Rathausbau von Sir Norman Foster mitgearbeitet. Seit anderthalb Jahren aber seilt sich Strohbach fast nur noch an Windenergieanlagen ab. Der Bedarf an Wartungs- und Reparaturarbeiten ist sprunghaft gestiegen. Immer neue Anlagen werden gebaut und die erste Windmühlengeneration zeigt langsam Verschleißerscheinungen - nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen anderen Ländern Europas. Außerdem bemühen sich die Anbieter von Windenergieanlagen seit einigen Jahren um einen besseren Service - längere Garantiezeiten und regelmäßige Inspektionen sind inzwischen Standard.
Weil die Seiltechnik ohne schweres Gerät, ohne Gerüste und Hebebühnen auskommt, können die Höhenarbeiter auch abgelegene Anlagen problemlos erreichen. Durch den geringen Materialaufwand werden zudem die Kosten für Wartung und Reparatur niedrig gehalten.
Um an seinen Arbeitsplatz zu gelangen, klettert Dennis Strohbach viele hundert Sprossen im Turm der Windenergieanlage hoch, bis er schließlich die Gondel ganz oben erreicht hat. Durch eine Bodenluke in der Rotornabe seilt er sich aus fünfzig und mehr Metern Höhe zu einem der Windmühlenflügel ab. »Ich beseitige Risse, die durch Erosion, Blitzschlag oder Verschleiß entstanden sind«, erklärt Strohbach seine Arbeit. Die schadhaften Stellen überklebt er vor Ort mit Kunstharzen und Glasfaserplatten. Das Material transportiert er in großen Beuteln.
Geklettert ist der ausgebildete Heizungsbauer früher nur einmal in einem Freizeitpark. Viele seiner Kollegen waren hingegen schon vor ihrem Beruf als Höhenarbeiter begeisterte Freizeitkletterer. »Mich hat die Herausforderung gereizt«, begründet Strohbach seine Berufswahl. »Es ist kein alltäglicher Job und man kommt viel herum.«
Die meiste Zeit des Jahres ist der 30-Jährige nur am Wochenende zu Hause - wenn überhaupt. Denn die Anlagen, die er repariert, liegen über das ganze Bundesgebiet verstreut. Er hat auch schon in Spanien, Portugal und Österreich Windmühlenflügel wieder flott gemacht. Ein angenehmer Nebeneffekt: Durch das Reisen erhöht sich das Gehalt des Industriekletterers, das sich ansonsten in etwa an den Tarifen der Baubranche orientiert. Für jede Nacht, die Strohbach der Arbeit wegen nicht an seinem Wohnort übernachtet, erhält er 24 Euro. Bei Einsätzen im Ausland steigt die Entfernungspauschale sogar bei 80 Euro.
»Die Aussicht von einer 75 Meter hohen Windmühle ist schon atemberaubend«, sagt Strohbach. Besonders spektakulär findet er sie aber nicht mehr, schließlich kennt er die meisten Windparks in Deutschland schon. Deshalb freut er sich auch besonders, dass seine Fähigkeiten auch in Japan und China gefragt ist. In wenigen Wochen soll die Reise losgehen. Vielleicht kann Strohbach dann von seinem hohen Ausguck auf Reisterrassen oder die chinesische Mauer hinunterblicken.

Artikel vom 17.06.2006