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Wie schön, dass es mich gibt
Freizügig, anschmiegsam, aber formvollendete Manieren: 60 Jahre Bikini - vom Nichts zum »Womanizer«
Bonjour, verehrte Damen und Herren. Ich lade Sie ein, feiern Sie mit mir meinen Geburtstag, meinen sechzigsten. Oh, pardon, wie kann ich nur so formlos sein. Dabei bin ich als Franzose doch mit allen Wassern gewaschen. Mit Verlaub, Mesdames et Messieurs, ich heiße Bikini, einfach nur Bikini.
Geboren wurde ich am 5. Juli 1946 in Paris. Mein Vater, der Maschinenbauingenieur Louis Réard, fand mich wohl so gelungen, dass er mich unter der Nummer 19431 sogar patentieren ließ. Wie ich zu meinem Namen kam, wollen Sie wissen. Bitte, sehen Sie es mir nach, aber darüber rede ich nicht gerne. Nur so viel: Mein Erzeuger nannte mich nach dem Bikini-Atoll, einem Schauplatz amerikanischer Atombombentests. Das verzeihe ich ihm nicht - und sollte ich darüber hundert werden.
Ich nehme ihm auch übel, dass ich immer und immer wieder vorgeführt wurde. Anfangs von einer Stripteasetänzerin, die mich, weil ich so klein geraten war, mit spitzen Fingern durch einen Ehering zog, mich, das »Mitte-lose« Nichts, das »enfant terrible«. Später dann nahm sich ein studiertes Pin-up-Girl meiner an. Dr. phil. Dorothy Hart präsentierte sich und mich in einem New Yorker Kaufhaus - hinter Panzerglas. Das konnte ja nicht gut gehen. So etwas wie ich war nicht gesellschaftsfähig, passte ganz und gar nicht in die ordentlichen Verhältnisse der auf Sitte, Moral und Aufbau erpichten Nachkriegswelt. Selbst in Frankreich war ich keine Petitesse, der meine Landsleute zumindest ein klitzekleines »O la la« gegönnt hätten. Ich war ein starkes Stück, das anständige Frauen sich gefälligst vom Leib zu halten hatten. Doch weil es immer welche gab, die sich über Tabus hinwegsetzten, wurde nahezu weltweit ein öffentliches »Badeverbot im Bikini« verordnet. Vorsichtshalber sozusagen, sonst wären die Männer womöglich noch über ihre Stielaugen gestolpert. Mon Dieu, da fällt mir ein, ich bin ja selbst männlich. Es heißt der Bikini, nicht die oder das.
Sei's drum, jedenfalls habe ich in der Verbannung gelernt, worauf es ankommt, wenn man Frauen nach allen Regeln der Kunst umgarnen will. Du gibst ihnen Stoff, mehr als dir eigentlich lieb ist. Kläglich gescheitert bin ich ich allerdings mit dem Versuch, weibliche Blöße mit Wolle zu bedecken: War ich trocken, wirkte ich bestrickend; wurde ich nass, machte ich schlapp. Für diesen Durchhänger, meine Damen, möchte ich mich in aller Form entschuldigen. Auch für den überspitzten Einfall, mein Oberteil so zu gestalten, dass man es mit Hyazinthenhüten verwechseln konnte. Und naturellement war das gerüschte Höschen, das sich bei Wasserberührung ballonartig blähte, ein absoluter Fauxpas.
Ich habe daraus gelernt. Und ich bin ein gelehriger Schüler. Brigitte Bardot hat mir zum Beispiel beigebracht, dass mich adrettes rosé-weißes Vichy-Karo an den wichtigen Stellen glaubwürdig unschuldig aus der Wäsche gucken lässt. Ursula Andress tüftelte so lange an mir herum, bis ihr eine gelernte Schneiderin die 40 Quadratzentimeter Baumwollstoff wegnahm und mich filmreif nähte. Was der Bond-Gespielin das Kompliment einbrachte: »Ein hübsches Nichts, das Sie da beinahe anhaben.« Danke, James. Allergrößten Dank an die Doppelnull mit der Lizenz zum Ladykillen. Dieser Satz war wie ein Ritterschlag. Endlich rissen sich die Frauen um mich. Sie wollten mehr, meinten aber weniger.
Allen voran das »Girl von Ipanema«. »Tall and tan and young and lovely« wiegte es sich an der Copacabana im Bossa-Nova-Rhythmus. Contenance, Bikini, Contenance. Du bist Franzose, ein waschechter Europäer, was willst du in Rio de Janeiro? Ich will's Ihnen nicht verschweigen. Auf Tuchfühlung mit den Schönheiten vom Zuckerhut, das war und ist - hautnah betrachtet - das Größte. Auch wenn ich dabei zu einer Miniatur geschrumpft bin und mich zuweilen verspotten lassen muss - als »Zahnseiden-Tanga«. Dem ich im Übrigen auch als »Best Ager« noch alle Ehre mache. Denn mit Hilfe der Schönheitschirurgie, Push-ups und einer anschmiegsamen Faser namens Lycra bin ich heute mehr denn je ein erhebender Anblick. Ich fühle mich ausgezeichnet, und so fühle ich mich auch an. Sogar schwimmen habe ich inzwischen gelernt, ich schlucke kein Wasser mehr und eine gewisse Chlorresistenz sagt man mir ebenfalls nach. Sollte ich dennoch zuweilen spröde wirken, dann habe ich zu lange in der Sonne gelegen. Wie bitte, ich darf mir zum Geburtstag etwas wünschen? Schenken Sie mir doch einfach auch in den kommenden Jahren Ihre Aufmerksamkeit. Merci - für alles. Beatrix Meyer

Artikel vom 01.07.2006