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Wirtschaftliche Not entscheidet

30 Jahre Paragraph 218: Zahl der Schwangerschaftsabbrüche sehr niedrig

Bielefeld (sas). Die Situation in der Ausbildung und im Beruf führen Frauen, die zur Schwangerschaftskonfliktberatung zu pro familia kommen, am häufigsten als Grund dafür an, dass sie einen Abbruch planen. »Zunehmend aber spielt die finanzielle und wirtschaftliche Situation eine Rolle. Wir spüren die Entwicklung der Arbeitslosigkeit«, sagt Ellen Carstens-Graeff, pro familia-Geschäftsführerin. 30 Jahre nach der Neufassung des Paragraphen 218 hat »profa« Bilanz gezogen.

Bis 1976 waren Schwangerschaftsabbrüche ohne kriminologische oder medizinische Indikation verboten, danach wurde zusätzlich die soziale Indikation eingeführt. Vor elf Jahren wurde das Gesetz erneut geändert: Es gilt jetzt die Fristenregelung von drei Monaten, vorgeschrieben ist aber eine Beratungspflicht. Die Beratung nehmen pro familia, der Evangelische Gemeindedienst und der Sozialdienst katholischer Frauen vor, wobei letzterer nicht den gesetzlich vorgeschriebenen Beratungsschein vergibt. Damit sollen weltanschaulich unterschiedliche Beratungssysteme angeboten werden.
»Hintergrund der Neuregelung war die Erkenntnis, dass Strafandrohungen die Konfliktsituation ungewollt Schwangerer nicht lösen«, sagt Carstens-Graeff. Die Befürchtung, dass mit dieser Liberalisierung, die den Frauen die Entscheidungsfreiheit überließ, die Zahl der Abbrüche steigen würde, bewahrheitete sich nicht. Im vergangenen Jahr gab es bundesweit 130 000 Abbrüche, »bezogen auf 10 000 Frauen waren es 74; das ist der niedrigste Wert seit zehn Jahren.«
1197 Schwangerschaftskonfliktberatungen hat pro familia Bielefeld im vergangenen Jahr durchgeführt. Das Gros der Frauen (70,8 Prozent) war zwischen 18 und 34 Jahre alt, 5,8 Prozent der Ratsuchenden waren minderjährig.
Ziel des Beratungsgesprächs ist nicht, den Frauen ins Gewissen zu reden, gleichwohl sollen ihnen Möglichkeiten aufgezeigt werden, die Schwangerschaft fortzusetzen, um damit das vorgeburtliche Leben zu schützen. »Dazu gehören auch Informationen über finanzielle Hilfen«, so der Psychologe Detlef Vetter.
Wichtig sei es auch für viele Frauen, die in einem Drittel der Fälle vom Partner begleitet werden, im Gespräch mit Dritten die eigenen Motive zu reflektieren, sich Klarheit zu verschaffen und dann zu einer tragfähigen Entscheidung zu kommen. »Immer wird es auch um die Frage gehen, was in der Verhütung schief gegangen ist«, sagt die beratende Ärztin Gertraud Böttner. Denn künftig soll eine solche Situation vermieden werden.
Die Kosten für den Abbruch muss die Frau selbst tragen. Bedürftigen Frauen allerdings (das Einkommen des Mannes spielt dann keine Rolle) können die Kosten erstattet werden. »Damit will man verhindern, dass die Frauen zu einem Kurpfuscher gehen«, betont Böttner. Vor 30 Jahren blieb den Frauen oft keine andere Chance. »Und viele haben damals gesundheitliche Schäden davongetragen oder sind sogar an den Folgen eines verpfuschten Abbruchs gestorben.«
Fünf offene Sprechstunden bietet pro familia (Stapenhorststraße 5) an, die Frauen können damit rechnen, binnen eines Tages Rat zu bekommen.

Artikel vom 20.05.2006