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Was passiert wie
in den Zellen?

Tagung über Systembiologie

Bielefeld (sas). Das menschliche Genom, aber auch das Erbgut anderer Lebewesen ist entschlüsselt. Nun wollen die Wissenschaftler verstehen, welche Vorgänge exakt in den Zellen ablaufen und wie die verschiedenen Prozesse miteinander wechselwirken. Und nicht nur das: In einem weiteren Schritt wollen sie die Stoffwechselvorgänge simulieren und irgendwann vielleicht biotechnologisch nutzen.

Etwa 120 Biologen, Chemiker, Physiker, Mathematiker und Informatiker, die sich der molekularen Systembiologie verschrieben haben, nehmen vom 6. bis 9. Juni im Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Uni an einer Tagung teil. Geleitet wird sie - ganz interdisziplinär - von den Bielefelder Professoren Dr. Norbert Sewald, Dario Anselmetti, Wolf-Jürgen Beyn, Karsten Niehaus, Alfred Pühler und Jens Stoye.
»Welche Stoffwechselvorgänge in den Zellen ablaufen, welche Substanzen eine Rolle spielen, wissen wir. Um sie aber simulieren und biotechnologisch Prozesse planen zu können, müssen wir auch quantitative Daten haben«, erklärt der Chemiker Sewald. Wie schnell baut ein Mikroorganismus zum Beispiel den Nährstoff Glukose zu Energie oder körpereigenen Substanzen um? Was passiert, wenn man eingreift? Wie reagiert ein System auf Störungen? Fragen, mit denen sich die Systembiologen auseinandersetzen. Am Ende - und noch Zukunftsmusik - steht zum Beispiel das Ziel, Proteine (Eiweißverbindungen) in den Zellen quantitativ zu erfassen, Krankheiten so zu diagnostizieren und zu therapieren.
»Bis jetzt waren wir in der Biologie lange damit beschäftigt, Gewebe, Organe und Organismen in kleine Teile zu zerlegen und zu analysieren. Das ist aber nur die halbe Wahrheit«, verdeutlicht der Biologe Dr. Jörn Kalinowski die Stoßrichtung. »Um die Funktion einer Heizung zu verstehen, genügt es auch nicht, sich ein Heizungsrohr anzusehen. Genauso geht es uns. Wir blicken auf viele Details parallel, um das große Ganze zu verstehen.«
Und ein besseres Verständnis soll bei der Behandlung von Krankheiten zu gezielterer, individuellerer Therapie führen. Kalinowski verdeutlicht das am Beispiel der Diabetes, die durch die Gabe von Insulin behandelt wird. »Wir wissen aber, dass es Gewebe gibt, das das Insulin produziert, dass es Zellen gibt, die es transportieren, andere, die es wahrnehmen und so weiter. Eine ganze Wirkungskette ist hier am Werk - allerdings nicht nur linear, so dass A auf B und B auf C wirkt, sondern in Regelkreisen. Der Körper kontrolliert ständig an vielen Stellen, ob das System funktioniert.« Künftig werde man womöglich bei dem einen Patienten in die Insulinbildung eingreifen, bei einem anderen die Zellen, die das Insulin wahrnehmen sollen, stärken. »Allemal wird eine Therapie individueller, effizienter und freier von Nebenwirkungen.«

Artikel vom 19.05.2006