22.07.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Viel Raum für neue Gedanken
In Opels Designzentrum in Rüsselsheim sind Kreativität und handwerkliches Geschick gefragt
Fast zärtlich führt Kristin Hahn den kleinen Spachtel immer wieder über die vordere Flanke des Modells. Es sind nur Winzigkeiten, die es noch zu ändern gibt. Doch genau auf die kommt es an. Die maßstabsgetreue Ton-Version im Kleinformat, die unter den Händen der Modelleurin entsteht, soll möglichst viele Details zeigen, die sich später einmal im richtigen Auto wiederfinden.
Im richtigen Auto? Ja, wir sind im neuen Design-Zentrum von Opel in Rüsselsheim. Gleich neben dem technischen Entwicklungszentrum angesiedelt sollen hier 350 Mitarbeiter in Zukunft den europäischen Modellen von General Motors (GM) ein besonderes Gesicht geben. Das jedenfalls ist die Vorgabe, die GM-Vizechef Bob Lutz den hier tätigen kreativen Köpfen mit auf den Weg gegeben hat. Der Manager ist davon überzeugt, die besten Designer der Welt vereint zu haben. Die unterschiedlichen Nationalitäten würden auch vor dem Hintergrund ihrer unterschiedlichen Kulturen ein Feuerwerk der Ideen entfachen. Das werde sich mit größter Sicherheit auszahlen.
»Wir wollen und werden innovativere Konzepte und auch gewagteres Design als bisher bieten«, erklärt der Amerikaner mit tiefer Stimme und breitem Slang. »Wir sind eine große GM-Familie und wollen den Erfolg. Das gilt für Nordamerika ebenso wie für Europa. Wir gehören alle zusammen.« Dabei unterstreicht er nachdrücklich, dass jede der GM-Marken in Europa ein unverwechselbares Profil haben müsse. »Auch wenn wir technisch auf vorhandenes Wissen zurückgreifen und möglichst viele Komponenten markenübergreifend einsetzen, um Kosten zu sparen - Opel, Vauxhall, Saab, Chevrolet und auch Cadillac müssen sich optisch klar voneinander abgrenzen«, unterstreicht auch der Europa-Chef von GM, Carl-Peter Forster, der zuvor als Vorstand die Opel-Geschicke geleitet hatte. Aus seiner Sicht ist in erster Linie das Design verantwortlich für Erfolg oder Misserfolg eines neuen Modells. Nicht zuletzt deshalb ist in Rüsselsheim jetzt ein Kreativ-Zentrum von nicht alltäglichen Ausmaßen entstanden. Bob Lutz sieht darin sogar ein »historisches Ereignis« für den Konzern.
Aber es sind nicht nur die Ausmaße. Designer Kurt Beyer, der maßgeblich an der Gestaltung des neuen Geländegängers Antara (kommt Ende des Jahres) beteiligt war, ist von seinem neuen Arbeitsplatz total begeistert. »Das Gebäude ist lichtdurchflutet. Die Räume sind groß. Das gibt auch den Gedanken jede Menge Platz. Dazu noch die unterschiedlichen Materialien, die hier verbaut wurden. Das Miteinander von Glas, Stahl und Holz ist spannend und regt immer wieder neu an, Ideen zu produzieren.« Nach den Worten Beyers können diese dann blitzschnell in das weltweite Design-Netzwerk von GM eingespeist werden. Angeschlossen sind rund um den Globus insgesamt elf dieser Einrichtungen. Die unterschiedlichen Studios seien so in der Lage, Projekte auszutauschen und Dinge schneller voranzutreiben.
Schneller, aber vor allem intensiver ist indessen jetzt auch die Zusammenarbeit des Kreativ-Teams in Rüsselsheim. Ganz in der Nähe der Designer-Schreibtische ist der Arbeitsplatz der Modelleure, zu denen auch Kristin Hahn gehört. Die 25-Jährige ist ebenso wie ihr Chef, Michael Wirth (46), davon überzeugt, dass trotz der besten Software-Programme und virtueller Darstellungs-Möglichkeiten am Computer das handgemachte Modell nach wie vor Bestand haben wird.
Unterstützung erhält sie bei dieser Annahme von ihrer Design-Kollegin Chloe Edwards. Die 26-jährige Engländerin »zaubert« mit wenigen Handbewegungen die Skizze eines Sportwagens auf einen Computer-Bildschirm. »Es gibt Designer, die zeichnen nach wie vor als erstes immer noch mit einem Stift auf Papier und gehen dann mit dieser Vorgabe an den Computer. Dort werden dann Flächen zu echten Flächen, mit Farben und unterschiedlichen Materialanmutungen. Doch nicht nur das. Das virtuelle Modell lässt sich dreidimensional darstellen, drehen, wenden, von allen Seiten betrachten.« Edwards betont aber, dass es immer noch etwas anderes sei, ein aus Ton geformtes Modell wirklich auch anzufassen oder gar in einer 1:1-Version Platz zu nehmen.
Zu diesem Zweck werden in die entsprechend modellierten Teile mit einer computergesteuerten Maschine sämtliche Fugen, Vertiefungen und Aussparungen gefräst, die es später auch im richtigen Auto geben wird. Dann werden die auf fahrbaren Gestellen fixierten Ton-Modelle mit einer Folie überzogen und zusammengeschoben.
Die Ergebnisse und Analysen werden dokumentiert und über das interne GM-Netzwerk elektronisch an die Standorte in aller Welt geschickt. Dort können die Designer mit den Vorlagen so arbeiten, als würden sie in Rüsselsheim am Schreibtisch sitzen. Auch hier ist der neue Opel Antara ein gutes Beispiel. Unter der Bezeichnung Captiva wird er mit dem Chevrolet-Markenzeichen auch in Europa auf die Straßen rollen. Allerdings mit einem deutlich anders geschneiderten Blechkleid als der Opel-Bruder. Die Designer in Korea, dort wurde der Captiva entsprechend umgestaltet, haben die Vorgabe von Bob Lutz also sofort in die Tat umgesetzt. Auf die festen Ton-Modelle des Antara indessen mussten sie dabei verzichten. Die lassen sich - bisher - nämlich noch nicht übers Internet verschicken. Sabine Neumann
Wolfgang Schäffer

Artikel vom 22.07.2006