20.05.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Ein Mann mit Spürsinn

Herausgeber Karl Dedecius wird am Samstag 85

Von Harald Schmidt
Darmstadt (dpa). Er hat nicht studiert und keinen Beruf erlernt. Dennoch sammelte Karl Dedecius Ehrendoktortitel und literarische Preise, gründete das Deutsche Polen-Institut in Darmstadt, ist Autor und Herausgeber zahlreicher Bücher und machte sich als Übersetzer polnischer Literatur einen Namen.
Noch lange ein Aufhören: Karl Dedecius.Foto: dpa

Im polnischen Slubice bei Frankfurt an der Oder füllen seine Sammlungen zur polnischen Literatur und Kultur eine ganze Bibliothek. Seit mehr als 50 Jahren arbeitet er an seinem Lebenswerk, der Verständigung zwischen Deutschen und Polen. An diesem Samstag wird Dedecius 85 Jahre alt.
Ans Aufhören denkt der Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels (1990) aber noch lange nicht. Gerade erst erschienen seine »Erinnerungen - Ein Europäer aus Lodz«, schon arbeitet er an einer Ergänzung oder vielleicht sogar einem zweiten Band: »Zurzeit sammele ich Material, denn mit einer Biografie ist nicht alles gesagt«, erklärt der Literatur-Übersetzer, der vielen polnischen Autoren zu einem großen deutschsprachigen Publikum verholfen hat - darunter Czeslaw Milosz (1980) und Wislawa Szymborska (1996).
Dedecius wurde als Kind einer deutschstämmigen Familie im polnischen Lodz geboren. Er wuchs zweisprachig auf und machte 1939 Abitur. Kurz darauf begann der Zweite Weltkrieg. 1943 geriet er in Stalingrad in sowjetische Gefangenschaft. Erst 1950 kehrte Dedecius zurück. Er lebte zunächst in der DDR und zog dann nach Westdeutschland. In Frankfurt begann er, bei einer Versicherung zu arbeiten. »Ich wollte nicht auf die Gnade der Verleger, die Gunst des Publikums und die Mode der Zeit angewiesen sein«, sagte er dazu einmal. Feierabende und Wochenenden genügten ihm, um jedes Jahr zwei bis drei Bücher mit Übersetzungen polnischer Romane, Erzählungen und Gedichte zu veröffentlichen. Dabei bewies Dedecius auch Spürsinn. Viele seiner Bücher wurden Bestseller, etwa seine Übertragung von Stanislaw Jerzy Lecs »Unfrisierten Gedanken«. Mit Czeslaw Milosz machte er die deutschen Leser lange vor der Zuerkennung des Literatur-Nobelpreises bekannt.

Artikel vom 20.05.2006