19.05.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

»Reiz der bunten Bilder blendet«

Moderner Blick der Mediziner ins menschliche Hirn wird oft überschätzt

Karlsruhe (dpa). Die Aussagekraft des modernen medizinischen Blicks ins Hirn wird nach Ansicht von Experten oft überschätzt.

Zwar böten die bunten Hirnbilder der Kernspin- und Computertomographen ein großes Potenzial zur Diagnose von Krankheiten und bei der Erforschung grundlegender Vorgänge im Gehirn, sagte Bärbel Hüsing vom Fraunhofer- Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe. Überzogen seien jedoch Erwartungen in anderen Bereichen wie Justiz und Marktforschung, beim Lernen und in der Psychologie.
Das so genannte Neuro-Imaging werde als vermeintlich objektive und »harte« Wissenschaft dargestellt, die bewährte psychologische Tests ersetzen könne, sagte Hüsing. »Diese Behauptung lässt sich nach dem heutigen Stand der Technik so nicht halten.« So mancher lasse sich vom »Reiz der bunten Bilder« blenden.
Unbegründet sind nach Ansicht Hüsings auch Ängste, wonach Gedanken allein durch bildgebende Verfahren gelesen oder die Persönlichkeit ausspioniert werden könnten. »Das ist in etwa wie bei einem Eiskunstläufer, bei dem man allein durch das Messen der Durchblutung der Beine Aussagen zum künstlerischen Ausdruck der Kür machen will.«
Die Studienleiterin und ihr Team aus Neuropsychologen, Strafrechtlern und Biologen fordern unter anderem einen besseren Zugang für Wissenschaftler zu den Geräten sowie das Einhalten strenger Qualitätsstandards bei Messungen an Probanden und bei der Interpretation der Ergebnisse.
Bildgebende Verfahren stellen die Strukturen oder Funktionen des Gehirns bildlich dar und werden in der Diagnostik psychischer Störungen, bei Epilepsie, Schlaganfällen oder Multipler Sklerose angewandt.
Körperliche Erkrankungen des Gehirns können auf diese Weise weitestgehend ausgeschlossen oder bei einem entsprechenden Befund gezielt behandelt werden, erklärten Fachleute.

Artikel vom 19.05.2006