19.05.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

»Das Spiel werde ich
mit ins Grab nehmen«

Jens Lehmann total frustriert - Barcelona jubiliert

Paris (dpa). Es sollte der größte Moment seiner Karriere werden und die perfekte Einstimmung auf die WM, doch nach einem denkwürdigen Abend in Paris blieben für Jens Lehmann nur Trauer, Frust und das Gefühl der Demütigung.

Mit schwacher Stimme und noch wie in Trance sprach Deutschlands WM-Torwart nach seiner Roten Karte und der 1:2-Niederlage mit dem FC Arsenal gegen den FC Barcelona im Finale der Champions-League über den Augenblick, der ihn gnadenlos aus seiner Hochstimmung der vergangenen Wochen gerissen hatte. Sein ganzes Leben werde er den Platzverweis nach nur 18 Minuten nicht vergessen können: »Das Spiel hier werde ich mit ins Grab nehmen.«
Während die Sieger aus Barcelona in einem blau-roten Freudenmeer den zweiten Sieg der Vereinsgeschichte in Europas wichtigstem Vereinswettbewerb feierten, bedurfte der 36-Jährige Trost von allen Seiten. Thierry Henry nahm ihn in den Arm, Trainer Arsene Wenger gab ihm einen Klaps auf den Rücken, bevor der Torwart als Letzter auf das Podest schlich, um die Medaille der Verlierer in Empfang zu nehmen.
Was als erster Höhepunkt auf einen großartigen Fußball-Sommer gedacht war, endete für Lehmann im Fiasko und nagt am Selbstvertrauen. »Es ist schwer zu beschreiben, was man dann fühlt, wenn man so ein wichtiges Spiel spielt und sich so viel vorgenommen hat und dann nach nicht mal 20 Minuten runterfliegt«, sagte Lehmann total enttäuscht. »Ich bin niemand, der über alles sofort hinweg geht, wenn ich mich freue, freue ich mich, wenn ich traurig bin, bin ich traurig und das wird ein paar Tage dauern.«
Bis zum Sonntag will Lehmann mit seiner Frau und den drei Kindern daheim in London Erholung suchen und dann beim Trainingslager in Genf zur Nationalmannschaft stoßen: »Die WM ist ein anderer Wettbewerb und eine neue Herausforderung, es ist gut, dass jetzt diese große Aufgabe ansteht.«
Auf Sardinien drückte Jürgen Klinsmann sein Mitgefühl aus: »Er hätte gerne ein Erfolgserlebnis in die Vorbereitung mitgenommen. Das tut uns ein bisschen weh«, sagte der Bundestrainer. Sogar Konkurrent Oliver Kahn zeigte Verständnis für Lehmanns Lage: »Das ist ein Schlag ins Gesicht. Jens ist aber erfahren genug und mental stark genug, um das abhaken zu können.«
Kein Trost dürfte sein, dass Schiedsrichter Terje Hauge einsah, dass er ihn nach der Notbremse gegen Barcelonas Samuel Eto'o nicht zwingend hätte vom Platz stellen müssen. »Ich muss gestehen, dass ich ein bisschen zu früh gepfiffen habe. Die Situation war ein bisschen unglücklich«, sagte der Referee am Tag danach. Hätte Hauge Barcelona seinen Vorteil gewährt und das Tor von Ludovic Giuly anerkannt, wäre Lehmann der Platzverweis erspart geblieben.
Trainer Wenger kritisierte den Referee aber nicht für diese Entscheidung. Der Ausgleich durch Eto'o (76.) der den Gegentorrekord der Londoner in der Champions League auf 995 Minuten beschränkte, sei aus dem Abseits erzielt worden, schimpfte er: »Auf diesem Niveau können wir so etwas nicht akzeptieren.«
Die glücklichen Sieger störte die Trauer der Londoner nicht. Ausgelassen tollten Ronaldinho und Kollegen über den Rasen. Schnell war vergessen, dass sie diesmal keine perfekte Fußball-Show abgezogen hatten. Gerade Ronaldinho wirkte nicht so leichtfüßig wie gewohnt. Nur mit großer Mühe konnte mit einem Kraft- statt einem Zauberakt das Arsenal-Führungstor durch Sol Campell (37.) egalisiert werden, um durch von Juliano Belletti (80.) den Triumph perfekt zu machen.

Artikel vom 19.05.2006