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Inspiration aus
salziger Luft

Wie Künstler die Insel Sylt sehen

Von Manfred Stienecke
Paderborn (WB). »Es war, als ob die freie Luft, der salzige Geschmack, die tosenden Wogen mich spornten und beglückten. Ich war aufgetan wie blühende Blumen zur Sonne.«

So wie 1930 der immerhin küstenerfahrene Emil Nolde das inspirationsfördernde Inselklima auf Sylt schilderte, müssen viele seiner Maler-Kollegen aus der rauen Meeresbrise neue schöpferische Kraft geschöpft haben. Die nördlichste deutsche Nordseeinsel nämlich wurde seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem bevorzugten Reise- und Arbeitsziel von Malern und Zeichnern.
Der Direktor des Museums in Flensburg und Professor für Kunstgeschichte in Kiel, Ulrich Schulte-Wülwer, hat in einer bemerkenswerten Arbeit die Bedeutung der »Künstlerinsel Sylt« dokumentiert. An seinen umfangreichen Werkkatalog lehnt sich die aktuelle Sonderausstellung der Städtischen Galerie Paderborn in der Reithalle Schloß Neuhaus an. Galerieleiterin Dr. Andrea Wandschneider hat etwa 90 Bilder zum Thema »Künstlerinsel Sylt - Freilichtmaler entdecken eine Landschaft« zusammegetragen. Die Schau wird heute um 19 Uhr eröffnet und dauert bis zum 20. August.
Schon Ende des 19. Jahrhunderts ließen die Kunstakademien Düsseldorf und Berlin ganze Schülergenerationen in die Sylter Dünenlandschaften ausströmen, um vor Ort und unter freiem Himmel die damals noch urwüchsige Natur auf Papier und Leinwand zu bannen. Ganz in der Tradition des Naturalismus entstanden die ersten Ansichten der strandhaferbewachsenen Sandhügel unter manchmal heiterem, oft aber auch düster-wolkenvergangenem Himmel, der sanften oder tosenden Meereswogen und der unter dem Wind in die Dünen geduckten Katen und Dörfer.
Nach der Jahrhundertwende werden die Bildkompositionen freier. Die gegenständlichen Motive lösen sich unter den spätimpressionistischen, später expressionisten Blicken der Künstler von ihrer direkten Vorlage hin zu Kompositionen, in denen Formen und vor allem Farben das Regiment übernehmen. In Emil Noldes Gemälde »Himmel und Meer« von 1930 wirft ein flammend roter Himmel seine Lichtreflexe in die dunkelblau-grünen Fluten, und die Farbe des Wassers findet Entsprechungen in zerrissenen Wolkenfetzen. Schon 1907 setzt Wenzel Hablik in frühexpressionistischem Pinselduktus die sturmgepeitschte See aus ineinander rollenden Farbschichten zusammen - von lichtem Rosa-Weiß bis ins bedrohliche Ultramarin.
Dokumentiert werden in der Neuhäuser Ausstellung Bilder von mehr als 30 Künstlern etwa aus der Zeit von 1870 bis 1960 - von der traditionellen naturalistischen Landschaftsmalerei (Hinrich Wrage, Hans-Peter Feddersen) über den Expressionismus (Erich Heckel, Emil Nolde, Ernst Mollenhauer) bis zum Strukturalismus und Taschismus (Emil Schumacher, Hubert Berke).

Städtische Galerie in der Reithalle Schloß Neuhaus: »Künstlerinsel Sylt«, bis 20. August, Eintritt frei.

Artikel vom 19.05.2006