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Streit um Kürzung bei Hartz IV

Wohlfahrtsverbände uneins über Forderung von Kommunen und Union

Berlin (WB). Mit scharfer Kritik hat der Paritätische Wohlfahrtsverband (DPWV) die auch von einzelnen Wohlfahrtsverbänden erhobene Forderung nach einer Senkung von Hartz-IV-Leistungen zurückgewiesen: »Forderungen nach weiteren Leistungskürzungen sind angesichts des Umfangs sozialer Not unverantwortlich.«
Wer Kürzungen fordere, lenke von den eigentlichen Problemen ab«, sagte DPWV-Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider. Der Verweis auf angeblich zu hohe Leistungsansprüche oder eine zu geringe Arbeitsmotivation gehe an den sozialen Realitäten vorbei, sagte Schneider.
Fast 900 000 Menschen seien trotz Erwerbstätigkeit auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen, weil ihr Einkommen nicht ausreiche. »Es mangelt nicht an Motivation, sondern an Arbeitsplätzen«, sagte der Hauptgeschäftsführer des DPWV. Statt simple Kürzungsvorschläge zu unterbreiten und damit die Stammtische zu bedienen, seien alle Akteure im Interesse der betroffenen Menschen gefordert, Wege zu mehr Beschäftigung zu finden. Derzeit würden selbst bestehende arbeitsmarktpolitische Möglichkeiten nicht ausreichend genutzt und die aktive Arbeitsmarktpolitik zurückgefahren.
Auch der Regelsatz von 345 Euro bei Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe sei zu gering bemessen, kritisiert der DPWV. Er will am kommenden Dienstag fundierte Berechnungen für einen bedarfsgerechten Regelsatz vorlegen.
In einem Brief an Spitzenpolitiker der Großen Koalition hatten zuvor Arbeiterwohlfahrt, Diakonie und Deutsches Rotes Kreuz gefordert, passive Leistungen für Langzeitarbeitslose zu kürzen. Das berichtete gestern die »Financial Times Deutschland«. Passive Leistungen sind neben dem Arbeitslosengeld II der Mietzuschuss, individuelle Zuschläge und Freibeträge.
»Die Unterzeichner stimmen darin überein, dass (...) eine Senkung passiver Leistungen notwendig ist, um ein dauerhaft tragfähiges und finanzierbares Leistungssystem zu erhalten«, heißt es in einer Erklärung von Vertretern der kommunalen Spitzenverbände und Wohlfahrtsverbände.
Zu den Unterzeichnern der Erklärung gehören Wilhelm Schmidt, Chef des Arbeiterwohlfahrt-Bundesverbands, Diakoniepräsident Jürgen Gohde sowie der Generalsekretär des Deutschen Roten Kreuzes, Clemens Graf von Waldburg-Zeil.
Der Brandbrief stärkt den Haushalts- und Wirtschaftspolitikern der Union in der Großen Koalition den Rücken. Sie wollen Kürzungen bei der Hartz-IV-Arbeitsmarktreform durchsetzen.
Die Kommunen warnen seit längerem vor den Folgen der Kostenexplosion bei Hartz IV. Sie sehen durch die steigenden Ausgaben für Langzeitarbeitslose andere wichtige soziale Projekte etwa in der Kinder- und Jugendarbeit gefährdet. Die Wohlfahrtsverbände hatten sich den Warnungen bislang nicht angeschlossen.
Auf ausdrückliche Zustimmung in der Union stieß gestern die gemeinsame Forderung deutscher Sozialverbände. Der arbeits- und sozialpolitische Sprecher der CDU, Ralf Brauksiepe, sagte: »Das verdient Anerkennung, dass die Sozialverbände die Lage realistisch einschätzen«.
Der SPD-Arbeitsmarktexperte Klaus Brandner (Gütersloh) bekräftigte noch einmal: »Es bleibt beim Regelsatz von 345 Euro beim ALG II.« Kürzungen bei Hartz IV hatte zuvor bereits der wichtigste Haushaltspolitiker der Union, Steffen Kampeter (Minden), angeregt: Gestrichen werden könne der befristete Zuschlag, den Erwerbslose erhalten, wenn sie vom regulären Arbeitslosengeld ins ALG II wechseln.
Langzeitarbeitslosen, die ein Job-Angebot ablehnen, will die CDU grundsätzlich die Leistungen kürzen. »Hartz-IV-Empfänger, die ein Arbeitsangebot erhalten und es ablehnen, müssen automatisch Sanktionen ohne Ermessensspielraum der Bundesagentur für Arbeit erhalten«, sagte CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla.

Artikel vom 19.05.2006