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Expertin: Opfer
sagen Wahrheit

Prozess gegen falschen Lehrer

Von Christian Althoff
Detmold (WB). Vor dem Landgericht Detmold ist gestern der Prozess gegen den falschen Lehrer Michael N. (46) aus Lemgo fortgesetzt worden. Der Tischler, der sich mit gefälschten Papieren als Pädagoge ausgegeben hatte, soll drei Pflegekinder aus Bielefeld sowie die Tochter seiner Lebensgefährtin jahrelang missbraucht haben.
Michael N. weist die meisten Vorwürfe von sich.

Im Mittelpunkt stand gestern das Gutachten der Psychologin Cornelia Ort, die die Kinder auf ihre Glaubwürdigkeit hin untersucht hatte. Sie kam zu dem Schluss, dass die Mädchen dem Gericht nur das geschildert haben, was sie auch erlebt hatten.
Danach muss die Tochter der Lebensgefährtin von Michael N. etwa acht Jahre alt gewesen sein, als sie zum ersten Mal missbraucht wurde. »Ich war noch klein, und als ich eines Nachts Angst hatte, bin ich zu ihm ins Bett gekrochen. Da hat er mich zum ersten Mal angefasst«, hatte die heute 16-Jährige der Gutachterin berichtet. Ihr Stiefvater habe erklärt, das sei normal für Kinder. Er habe ihr später auch einen Pornofilm gezeigt und die Handlungen erläutert. »Er hat das als Aufklärungsunterricht bezeichnet«, sagte die Gutachterin.
Die Schülerin hatte der Psychologin außerdem ihre Entjungferung durch den Stiefvater geschildert. Der Missbrauch habe sich fortgesetzt, bis sie zwölfeinhalb Jahre alt gewesen sei. Da habe sie ihre Periode bekommen, und ihr Stiefvater Michael N. habe gesagt, er werde »nichts mehr machen«, weil es jetzt »zu gefährlich« sei.
Cornelia Orth erklärte, das Mädchen habe anfangs mit niemandem über den Missbrauch gesprochen, weil es glaubte, das sei normal: »Das Mädchen hat seinen Stiefvater verehrt und seine Handlungen nicht in Frage gestellt.« Als dann in der vierten Klasse das Thema Missbrauch behandelt worden sei, sei für die Schülerin eine Welt zusammengebrochen. »Sie schämte sich und fühlte sich schuldig, weil sie diese Dinge über sich hatte ergehen lassen - und hat deshalb weiter geschwiegen«, erklärte die Psychologin.
Der Mann war erst aufgeflogen, nachdem sich im vergangenen Jahr eine der Pflegetöchter an die Lebensgefährtin von Michael N. gewandt hatte. »Zum Glück hat diese Frau sofort Anzeige erstattet«, sagte gestern eine Kriminalbeamtin vor Gericht. Denn die Arbeiterwohlfahrt in Bielefeld, die die Pflegekinder im Auftrag des Jugendamtes an Michael N. vermittelt hatte, sei gegen eine Strafanzeige gewesen.
Die AWO hatte bereits im Jahr 2003 Hinweise auf den mutmaßlich pädophilen Pflegevater erhalten, die leiblichen Mütter aber nicht informiert. »Ich mache der AWO aber keinen Vorwurf«, sagte gestern Susanne W., eine der Mütter. »Denn die größten Vorwürfe machen sich die Mitarbeiterinnen heute selbst.«
Der Prozess wird fortgesetzt.

Artikel vom 18.05.2006