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Ein Paderborner im WM-Finale:
Frohe Kunde kam per Internet

Rollstuhlfahrer Sascha Fastenrodt ist in Dortmund und Berlin am Ball

Von Peter Klute
Paderborn (WB). Als sich Sascha Fastenrodt an einem Morgen im April wie gewöhnlich an seinen Computer setzt und seine E-Mails abfragt, traut er seinen Augen nicht. »Sie erhalten jeweils zwei Karten für das Halbfinale in Dortmund und das Endspiel in Berlin«, steht in dem elektronischen Schreiben des Weltfußballverbandes FIFA.

»Ich habe mich riesig gefreut, konnte es kaum glauben und habe sofort angefangen, alle möglichen Leute anzurufen«, erinnert sich der 25-jährige Paderborner an diesen unvergesslichen Moment. Mehr als ein Jahr war vergangen, nachdem sich der Fan von Borussia Mönchengladbach am 10. März 2005 für Tickets der Fußball-Weltmeisterschaft beworben hatte. »Eröffnungsspiel, Halbfinale in Dortmund und Endspiel«, lauteten seine Kartenwünsche, zwei von dreien wurden zu seinem eigenen Erstaunen erfüllt: »Ganz ehrlich gesagt, ich habe mit keiner einzigen Zusage gerechnet.«
Jetzt ist er am 4. Juli in seiner Geburtsstadt und am 9. Juli in Berlin dabei und hofft auf eine Beteiligung der Klinsmann-Mannen: »Ein Finale Deutschland gegen Italien, das wär's. Mein Traum ist, dass ich unsere Nationalmannschaft sowohl im Halbfinale als auch im Endspiel sehe.«
Bisher war Sascha Fastenrodt überhaupt erst zweimal in einem Fußballstadion. Im Mai 2002 sah er im Münchner Olympiastadion das Champions-League-Viertelfinale FC Bayern gegen Real Madrid, im Januar 2000 spielte er beim Ablösespiel für Antonio Di Salvo im Hermann-Löns-Stadion zwischen dem SC Paderborn 07 und Bayern München sogar eine Hauptrolle. Beim Elfmeterschießen in der Pause gegen SCP-Keeper Wolfgang Wiesner traf er und gewann einen Mallorca-Urlaub.
Noch im gleichen Jahr ereilte ihn ein schwerer Schicksalsschlag. Eine 600 Kilogramm schwere Betonplatte begrub Beine und Unterleib des damals 19-jährigen Maurerlehrlings unter sich. »Ich war bei vollem Bewusstsein und wusste sofort, dass ich gelähmt bin, weil ich meine Beine nicht mehr gespürt habe«, schilderte er den tragischen Augenblick vom 26. September 2000. So nahm er die Diagnose (ein zertrümmerter Lendenwirbelkörper, gequetschtes Rückenmark und eingeklemmte Nerven) recht gefasst auf: »Wenn so ein Unfall 1000 Mal passiert, würde der Betroffene in 999 Fällen sterben. Ich hatte mehr Glück als Verstand und es war ein Wunder, dass ich überlebt habe. Mein Glück war, dass ich etwas kräftiger bin und weil es ein Arbeitsunfall war, war ich gut versichert.«
Von der Brust abwärts gelähmt, sitzt Fastenrodt seitdem im Rollstuhl und ist Rentner. Nach seiner Reha in der Bochumer Klinik Bergmanns-Heil wohnte er bei seinen Eltern in Atteln, bis er vor einem halben Jahr mit seiner WG-Partnerin Bianka Avenarius eine Wohnung in der Paderborner Innenstadt bezog. »Ich komme alleine klar, aber mit Bianka ist es nicht so langweilig«, sagt er.
Seine große Leidenschaft neben dem Fußball sind Autos. Als er noch laufen konnte, spielte Sascha Fastenrodt Fußball und war für den SV Atteln als Schiedsrichter tätig. Heute ist es für ihn am schönsten, in einer seiner drei umgebauten Karossen »einfach durch die Gegend zu fahren«.
Welche er am 4. und 9. Juli bewegt, weiß er noch nicht, wer mit ihm fährt, schon: sein Freund Marcel Kowatsch. »Es gibt viele Neider«, sagt Fastenrodt, »ich kenne einige, die WM-Karten bestellt haben, aber keinen anderen, der ein Halbfinal- oder Endspielticket hat. Immer wieder werde ich gefragt, ob meine Begleitperson nicht vielleicht verhindert sei«.
210 Euro kosten die Karten (90 Euro Halbfinale, 120 Euro Endspiel, Behinderte fallen unter die günstigste Kategorie) und Fastenrodt kann es kaum noch erwarten: »Ich freue mich unheimlich, das wird etwas ganz Besonderes.«

Artikel vom 02.06.2006