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Genau, Synergie. Wir spielen beide im selben Team. Wir leben in einem neuen Irland, und in dem geht es einzig und allein um Kommunikation. Es geht darum, dass die Jugend, dass die jungen Menschen miteinander reden und die alten Methoden, die Dinge anzugehen, umkrempeln. Und wir bei Telsinor Ireland sehen uns als diejenigen, die das Equipment stellen, damit diese Vision Wirklichkeit werden kann.«
»Das Medium ist die Botschaft«, warf Harry ein.
»Und wie fühlen Sie sich dabei?« Der Journalist schaute Harry an. »Wie ist das, wenn man mit dem Big Business ins Bett steigt?«
»Nun ja«, sagte Harry langsam. »Ich glaube nicht, dass wir uns als jemanden sehen, der, wie Sie es ausdrücken, mit irgendwem ins Bett steigt É«
»Sehr richtig«, schaltete Niall OÕBoyle sich wieder ein. »Das ist doch eine sehr überkommene Betrachtungsweise. Die Kunst und das so genannte Big Business - letztendlich geht es bei beidem doch um das Gleiche: um den Menschen. Nehmen wir unsere Marla hierÉ« Er nahm Mirela bei der Hand und führte sie dem Journalisten vor. »Marla ist ein perfektes Beispiel dafür, worum es diesem Projekt, dem Ralph Hythloday Centre, und Telsinor Ireland geht. Es geht darum, Menschen eine Plattform zu bieten, wo sie sein können, was sie sein wollen, wo sie sagen können, was sie sagen wollen. Es geht um Einbeziehung und um Vielfalt, um Ost trifft West, darum, in Frieden und Harmonie zusammenzukommen, um junge Menschen, die die Vergangenheit ruhen lassen, die Krieg und Politik den Rücken kehren und die sagen: ÝJetzt sind wir an der Reihe, und wir wollen einfach unseren Spaß haben.Ü Für mich ist das die eigentliche Aussage des Stücks, das wir heute Abend gesehen haben.«
»Sehen Sie das auch so?« Der Journalist schaute Harry an.
»Nun ja, in gewisser Weise schon«, sagte Harry. »Schließlich bedeutet Kommunikation É«
Ich kehrte zurück zu Bel, die immer noch niedergeschlagen in ihrem Sessel kauerte. »Ich verstehe nicht, was du jemals in diesem Scharlatan gesehen hast«, sagte ich. »Verdammt, ich hätte gute Lust, dem Kerl die Fresse zu polieren.«

D
er Tee schien sie ein bisschen aufzumöbeln. Sie hob den Kopf und schaute zur Decke, die immer dann weiß aufleuchtete, wenn der Zeitungsfotograf einen Schauspieler oder Gast ablichtete.
»Es ist nicht seine Schuld«, sagte sie schließlich.
»Verstehe«, sagte ich ätzend. »Wahrscheinlich hat ihm Mirela die Pistole an den Schädel gehalten und dazu gezwungen. Vielleicht kam die Idee auch gar nicht von ihr, sondern die beiden sind einfach gestolpert und zusammen ins Bett geplumpst É«
»Es ist das Haus«, sagte Bel.
Ich schaute sie an. »Was?«
»Das Haus«, wiederholte sie. Als wollte sie im Kopf eine komplizierte Rechenaufgabe lösen, starrte sie mit leicht gerunzelter Stirn geradeaus. Ihre Stimme klang einschläfernd; sie schien von weit her zu kommen. »Als ob das Haus beide verändert hätte«, sagte sie. »Als ob es ihnen seinen Willen aufgezwungen hätte, damit es selbst überleben kann.«
Ich setzte mich ruckartig auf, drehte ihren Kopf zu mir und schaute ihr direkt in die Augen. »Alles in Ordnung? Brauchst du Hilfe?« Gerade kam Mrs P mit einer Platte Kanapees herein. Ich winkte ihr, aber sie sah mich nicht.
»Hier, schau«, sagte Bel und drehte den Anhänger zwischen den Fingern hin und her.
Ich schaute, ohne zu wissen, was ich da sehen sollte. Rechts von uns blitzte es, lachend löste sich die vor der Kamera posierende Menschentraube auf. »Und jetzt noch eins nur von dir und den Kindern«, sagte Niall OÕBoyles Stimme. »Los, machen Sie eins von Georgie und den Kindern. Ein Familienfoto, sozusagen die Theaterfamilie.«
Neue Positionen wurden eingenommen. Harry hakte sich bei Mutter unter, Mirela tat das Gleiche auf der anderen Seite. Alle drei hatte uns den Rücken zugekehrt. »Fertig?«, fragte der Fotograf.
»Sollte Bel nicht auch mit drauf?«, fragte Mirela. Ich hörte Mutters flüchtige Erklärung, dass Bel - aus Gründen, die die ihren seien - keine Fotos von sich wünsche.
»Perfekt«, sagte der Fotograf. »Noch einmal, bitte É«
»Kapierst du nicht?«, sagte Bel. »Das sind wir.«
»Was?«
»Lächeln bitte É«
»Das sind wir«, sagte sie. Im selben Augenblick leuchtete der Blitz auf. Ich war mir zwar sicher, dass ich gerade etwas sagen wollte, doch das Blitzlicht blendete mich so, dass ich es vergaß - was auch immer es gewesen sein mochte. Stattdessen taumelte ich blinzelnd und mit den Armen fuchtelnd zurück. »Wenn das aber so ist«, hörte ich die vorübergehend unsichtbare Bel neben mir flüstern. »Wer sind dann wir?«
Ich atmete tief durch und hielt mir die Hände vor die Augen, bis meine Sehkraft zurückkehren würde und ich ihr sagen konnte, dass das, was sie da gerade gesagt habe, vollkommen sinnfrei sei, und ob ich nicht vielleicht Mrs P rufen solle, auf dass sie sie an einen ruhigen Ort auf ein Nickerchen bringe. Ihre Stimme kappte meine Gedanken. »Ich hol mir was zu trinken.« Ich hob den Kopf und sah wie durch einen Schleier hindurch, dass sie quer durch den Raum ging. In dem langen Kleid, in dem immer noch flimmernden Licht und inmitten all der fremden Menschen sah sie aus, als schwebe sie über dem Boden.

Dreizehn
Bel kam nicht zurück. Ich hatte es gewusst. Trotzdem wartete ich etwa eine Stunde, drückte mich Gimlets trinkend in den Randbezirken der Party herum und belauschte anderer Leute Unterhaltungen. Die Männer in Anzügen sprachen über Offshore-Investitionen, Häuser und Golf; ihre Frauen sprachen über Häuser, Urlaub, Chirurgie und Wohltätigkeitsveranstaltungen.
Auf meinem Weg nach draußen wurde ich Zeuge eines Streitgesprächs, das gerade an der Garderobe im Gange war. »Ich bin mir nicht sicher, ob Sie sich über den Ernst der Lage im Klaren sind«, sagte eine Dame zu Frank, mit deren Falsettstimme man Kristall hätte schneiden können. »Das ist nicht nur eine Frage der Kosten. Dieser Fuchspelz ist unersetzlich. Er ist ein Stück Geschichte, können Sie das verstehen?«
»Nun ja, er ist aber nicht da«, sagte Frank. Seine Stimme hatte etwas Endgültiges.
»Aber wo soll er sonst sein?« Die Tonlage der Frau steigerte sich um ein paar Oktaven. »Wo soll er denn sonst sein?«
»Vielleicht ist er weggelaufen«, sagte Frank. »Vielleicht wollte er nicht mehr in einem Haus leben.«
»Er ist tot!«, kreischte die Frau und ließ ihre juwelengespickte Hand auf den Tisch niedersausen. Dann, als hätte sie sich selbst erschrocken über das, was sie gerade gesagt hatte, umklammerte sie mit derselben Hand ihren Hals und taumelte zurück. Ich hatte den Eindruck, als sei diese Auseinandersetzung schon eine geraume Zeit im Gang. Sie tat mir ein bisschen Leid, doch ich schlug den Kragen hoch, schaute geradeaus und ging zur Haustür.

E
s war eine klare und kalte Nacht, und die Luft kribbelte auf den Lippen und in den Nasenlöchern. Einer der Lakaien der Theatergruppe stand vorn an der Einfahrt und dirigierte mit blauen Fingern und stoischem Gesichtsausdruck die Autos auf die Straße. Er trug die altmodische Uniform eines Hotelpagen, die Harry bei seinen Grabungen auf dem Dachboden in dem scheinbar grenzenlosen Vorrat an altertümlichen Schätzen entdeckt hatte. Die abbiegenden Lichtkegel der Scheinwerfer warfen verrückte Schatten, die zwischen den Stämmen und Ästen der schlafenden Bäume Bilder von knorrigen, elfenhaften Gesichtern heraufbeschworen. Durch die Hecke konnte ich auch das Licht sehen, das im Arbeitszimmer vom alten Thompson brannte. Mutter hatte Olivier für den Theaterabend zwar eine Einladung geschickt, dass er wirklich kommen würde, hatte sie aber wohl nicht erwartet. Seit der Beerdigung des alten Mannes hatte ihn niemand mehr gesehen; er ging nicht mal mehr an die Tür. Alle möglichen Geschichten geisterten herum: dass sein Testament, in dem er Olivier alles hinterließ, von einem obskuren Neffen aus Australien angefochten worden sei; dass dieser Neffe vorhabe, das alte Anwesen abzureißen und neue Häuser zu bauen, die er dann verkaufen wolle; dass Olivier - aus welch kauzigem Grund auch immer - sich weigerte, mit Thompsons Anwälten und auch sonst einem Menschen zu sprechen.

I
ch ging die Stufen hinunter und steuerte die am Tor wartende Taxischlange an, in der Hoffnung, einen der Fahrer überreden zu können, mich nach Bonetown zu fahren. Doch als ich an dem Goldregen vorbeiging, stellte sich mir eine Gestalt in den Weg. Ich erschrak zu Tode. Ein paar Sekunden standen wir beide regungslos da und beäugten uns.
»Ich hab gedacht, du wärst schon schlafen gegangen«, sagte ich schließlich.
»Nein«, sagte sie und schüttelte ihre Handgelenke. Sie zitterte am ganzen Körper. Ich fragte mich, wie lange sie schon hier zwischen den Bäumen gewartet hatte.
»Also dann É« Da ich den Austausch der Höflichkeitsfloskeln für abgeschlossen hielt, wollte ich weitergehen, doch sie kam mir zuvor und versperrte mir wieder den Weg.
»Nimm mich mit«, sagte sie.
Ich schaute sie an.
»Ich muss É«, sagte sie und brach ab. »Ich muss einfach eine Zeit lang weg von hier.«
Ich wartete kurz und sagte dann schroff: »Und wohin willst du?«
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 06.06.2006