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Igor Kostin mit seinem Bildband über Tschernobyl, den es bei Petra Krasa im Stadtarchiv (Rohrteichstraße) und im Buchhandel gibt. Foto: Pierel

»Unsere Kinder sollen so
etwas nie wieder erleben!«

Tschernobyl-Fotograf Igor Kostin sprach in der Raspi


Bielefeld (WB/mzh). In einem lebhaften Appell an die Vernunft des Menschen hat Igor Kostin gegen die Kernkraft plädiert. Der 69-jährige Moldawier, der die ersten Fotos der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl machte, sprach gestern in der Ravensberger Spinnerei.
Sichtlich bewegt schritt der Fotograf, der jetzt in Kiew lebt, zuvor durch die Schau seiner Bilder in der Altstädter Nicolaikirche. »Mir fehlen die Worte - ich habe in der ganzen Welt ausgestellt, aber diese Kombination von Dokumentation und Kirche ist überwältigend«, meinte Kostin. Die Bielefelder Präsentation, »ein Gedicht!«, bestärke ihn in seinem Vorhaben, die Motivik eines geplanten Denkmals für die Tschernobyl-Opfer in einen biblischen Kontext zu stellen.
Die Explosion des Reaktors vor 20 Jahren ist Igor Kostin zum Lebensthema geworden. »Da ist was passiert - fliegst du mit?«, fragte am 26. April 1986 ein Hubschrauberpilot den Fotoreporter, und so entstand das einzige Bild vom Unglückstag. Wegen der furchtbaren Strahlung waren alle weiteren Fotos schwarz, und Kostin, der damals völlig ahnungslos in die radioaktive Hölle flog, hat zwei Rückenmarkstransplantationen hinter sich.
Um so erzürnter reagiert er auf die Vertuschungs- und Verharmlosungsversuche der russischen Politik, die bis heute andauern. Achtbeinige Fohlen, grausam »unfertige« Menschenbabys, Körper von Helfern (»Liquidatoren«), die sich langsam auflösten - »ich habe alle Folgen dokumentiert und Gorbatschow persönlich übergeben, ohne je eine Antwort zu erhalten.« Die Wissenschaft hätte das Politbüro richtig informieren müssen, hieß es achselzuckend. »Dass die Ukraine im März 2006 den Bau weiterer 22 Reaktoren beschlossen hat, ist nicht nur instinktlos, es ist auch ignorant.« Und das Ansinnen, die »Verbotene Zone« wieder zur Besiedlung freizugeben, bezeichnet er als »schwachsinnig«.
Igor Kostins Fotos, die noch bis zum 28. Mai in der Nicolaikirche hängen, erschüttern den Betrachter bis ins Mark, weil man »den Feind« nicht sieht. Bilder als Appell, die Würde des Menschen zu achten? »Ich bin Journalist, ich präsentiere die Fakten. Aber wenn Sie dahinter den Aufruf sehen, verantwortungsvoll mit Gottes Schöpfung umzugehen, fühle ich mich verstanden.«
Der Moldawier, Vater einer vierjährigen Tochter, wünscht sich die Energiegewinnung aus Wind, Sonne und Wasser. »Damit unsere Kinder so etwas nie wieder erleben müssen!«

Artikel vom 17.05.2006