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Neugeborener Junge lag tot im Keller

Hausbesitzer findet Säugling in Leinenbeutel - Mutter unter Totschlagsverdacht

Von Christian Althoff und
Jörn Hannemann (Fotos)
Herford (WB). Der Besitzer eines Herforder Mehrfamilienhauses hat am Montag im Keller einen toten Säugling entdeckt. Gegen die noch unbekannte Mutter ermittelt die Mordkommission Bielefeld jetzt wegen Totschlags. »Denn der Junge hat nach seiner Geburt noch gelebt«, sagte gestern Staatsanwalt Christoph Mackel.
Kripobeamter Ralf Gelhot leitet die Mordkommission.

Die Komturstraße in der Herforder Innenstadt. Im Haus Nummer 29 gleich gegenüber der Kirche St. Johannis Baptist wohnen zwei Familien, im Erdgeschoss hat die katholische Frauenberufsberatungsstelle »In Via« ihre Schulungsräume. Mieter hatten sich Anfang der Woche beim Hausbesitzer, einem Arzt, über Geruch aus dem Keller beklagt. Montag Mittag sah Dr. Klaus B. nach - und entdeckte in einem nicht verschlossenen, ungenutzten Kellerraum einen Leinenbeutel mit der Leiche eines nackten Babys.
»Von den Mietern hat niemand das Kind entbunden«, sagte gestern Kriminalhauptkommissar Ralf Gelhot, der Leiter der Mordkommission. Er geht davon aus, dass das Kind an einem anderen Ort zur Welt gebracht und von der Mutter oder einem Helfer in dem Keller abgelegt worden ist. »Es ist kein Problem in unser Haus zu kommen, weil die Türen zur Straße und zum Garten wegen der Beratungsstelle nie verschlossen ist«, erklärte gestern ein Mieter.
Die Mutter oder ihr Helfer müssen um diesen Umstand gewusst haben. Deshalb überprüft die Kripo jetzt die Teilnehmerinnen von »In Via«-Kursen sowie von Sprach-Qualifizierungsmaßnahmen, die hier ebenfalls angeboten werden.
»Die Obduktion hat ergeben, dass der Junge vor drei bis zehn Tagen zur Welt gekommen ist - 50 Zentimeter groß und 2600 Gramm schwer«, sagte Kriminalhauptkommissar Gelhot. Das Kind habe gelebt und selbständig geatmet. Ob die Mutter den Säugling nach der Geburt einfach sich selbst überlassen oder ihm die Atemwege verschlossen hat - Êdie Ermittler kennen die Todesursache noch nicht. »Deutlich sichtbare Verletzungen gibt es aber nicht«, sagte der Beamte. Die Nabelschnur habe sich noch an dem Baby befunden.
Eine Spur, der die Mordkommission nachgeht, ist der Leinenbeutel, in dem das Kind lag. Er trägt die orangefarbene Aufschrift »Funktaxi Gehlhaus 05731 28555« und ist von dem Bad Oeynhausener Taxiunternehmen seit 2002 an 150 bis 200 Stammkunden verschenkt worden. »Natürlich kann so ein Beutel inzwischen durch viele Hände gegangen sein«, stellte Ralf Gelhot klar.
Auf der Suche nach Spuren überprüften gestern fünf Leichenspürhunde der Diensthundeführerschule Stukenbrock, die auch Blut erschnüffeln können, das Hausgrundstück sowie angrenzende Gärten und Parkplätze - vergeblich.
Die Polizei bittet die Bevölkerung um Hinweise auf Frauen, die bis vor wenigen Tagen schwanger waren, jetzt aber kein Kind vorweisen können. Die Ermittler sind rund um die Uhr unter der Telefonnummer 05221/8 88 18 81 erreichbar
Der Tod des Säuglings - er ist kein Einzelfall in Ostwestfalen:l In den 90er Jahren entdeckte ein Supermarktmitarbeiter in Enger ein Baby in einem Müllcontainer.l Im November 2000 fand ein Schüler in Rahden ein zwei Tage altes Mädchen am Bahndamm, das möglicherweise erschlagen worden war.l Im Juli 2005 wurde in einer Müllsortieranlage in Harsewinkel ein neugeborener Junge tot in einer Aldi-Tüte entdeckt. Die drei Fälle sind bis heute ungeklärt.
Babyklappen haben anderen Kindern möglicherweise ein ähnliches Schicksal erspart. Solche Klappen gibt es in Ostwestfalen-Lippe in Detmold (Klinikum), Herford (Klinikum), Gütersloh-Blankenhagen (Pfarrhaus Heilige Familie), in Hüllhorst-Ahlsen sowie in Paderborn gegenüber dem Vincenz-Krankenhaus und in Minden (Klinikum). Bis heute sind in Ostwestfalen-Lippe sechs Neugeborene in diese Klappen gelegt und gerettet worden.

Artikel vom 17.05.2006