17.05.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Ministerin Barabara Sommer meldet die 100. Ganztagshauptschule.

Ein Jahr nach der Erdrutschwahl:
Rüttgers in NRW gern zu Haus

Regieren ohne Getöse - Zum Jubiläum in Berlin auf die Pauke hauen

Von Reinhard Brockmann
Düsseldorf (WB). »Jeden Monat eine Behörde abgeschafft - und keiner hat's gemerkt«: NRW-Chef Jürgen Rüttgers (CDU) blickt selbstzufrieden auf den ersten Jahrestag seines größten Triumphes, die NRW-Wahl am 22. Mai 2005.

»Ohne politisches Getöse« arbeiteten seitdem Kabinett und schwarz-gelbe Koalition, sagte der Mann, der Gerhard Schröder straucheln ließ und Angela Merkel den Weg ins Kanzleramt bereitete, jetzt dem WESTFALEN-BLATT.
Der totale Wechsel von Rot-Grün zu Schwarz-Gelb gelang zwar in NRW, nicht aber in Berlin. Dort reichte es vier Monate später gerade noch zur Großen Koalition unter Vorsitz der Union.
Vielleicht haut das wichtigste Bundesland deshalb bereits morgen in Berlin so richtig auf die Pauke. Nicht ein Jahr nach dem Regierungsantritt am 1. Juli 2005, sondern schon jetzt, dem Jahrestag des Desaters von Rot-Grün, lädt Ministerpräsident Rüttgers zum Empfang in die Landesvertretung.
Dabei gilt die NRW-Depandance als genauso genossengesteuert wie der gesamte Regierungsapparat nach 39 Jahren SPD. Kaum 100 eigene Leute und Vertraute haben die 13 neuen Minister und Staatssekretäre bis heute um sich scharen können. Damit sie Parteibuchbeamte zumindest von einem ins andere Ministerium versetzen dürfen, wird im Herbst am Tabu Landespersonalvertretungsgesetz gerührt.
Die Beharrungskräfte sind gewaltig und den Regierenden werden schon mal Texte ihrer Vorgänger untergeschoben. Um so stolzer verweist das Team Rüttgers auf eine Liste politischer Erfolge. 2000 neue Lehrerstellen im ersten Jahr, 100 Ganztagshauptschulen, Familienzentren, Bürokratieabbau, mehr Wachstum und 261 Millionen Euro zusätzlich für Kinder, Jugend und Bildung sind die meist genannten Beispiele. Bitter dabei: Die Zahl von einer Million Arbeitslosen hat sich kaum bewegt. Exakt lag sie im April 2006 um 16 790 Stellen niedriger als im April 2005.
Ingesamt fünf Seiten umfasst der aktuellste Katalog der Spiegelstriche und Einzelmaßnahmen, den zu sezieren die politische Konkurrenz soeben begonnen hat. »NRW wird schlecht regiert« lautet denn auch die zentrale Botschaft von Seiten der Landes-SPD. »Die Neuverschuldung steigt auch unter Schwarz-Gelb«, betont SPD-Fraktionschefin Hannelore Kraft. Und tapfer behauptet sie, die SPD habe schneller als erwartet die Oppositionsrolle angenommen. Als jüngst allerdings über den Etat 2006 in zweiter Lesung abgestimmt werden sollte, waren nur 7 der 74 frustrierten SPD-Landtagsabgeordneten anwesend. »Hannelore allein zu Haus« feixte prompt der liberale Pressedienst.
Und die Grünen? Still ruht der See, aus dem nach eigenne Angaben derzeit neue Kraft geschöpft wird..
Große innere Ruhe und Gelassenheit vermitelt vor allem Rüttgers selbst. Bei Landtagssitzungen betritt der in langen Oppositionsjahren hier oft genug politisch Gepeinigte den Plenarsaal nicht durch die Hintertür zur Regierungsbank - wie seine Vorgänger. Vielmehr nimmt der Chef den Eingang der gemeinen Politiker. Dann lässt er sich mal hier mal dort in »seiner« Fraktion zu Gesprächen nieder, um 60 Minuten später auf der Regierungsbank anzukommen. Jeder sieht, Rüttgers ist gern zu Haus.
Vergessen scheint, was Rüttgers am Wahlabend beinahe die Schlagzeile vom historischen Sieg an Rhein und Ruhr vermasselte: Um 18.27 Uhr kündigten an jenem Sonntag Kanzler Schröder und der damalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering an, dass sie vorgezogene Bundestagswahlen anstrebten.

Artikel vom 17.05.2006