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»Die Vierte Gewalt hat Freiheit nur verdient, wenn sie sie auch zum Wohl aller einsetzt.«

Leitartikel
BND-Affäre

Information
schützt
vor Terror


Von Jürgen Liminiski
Der BND ließ Journalisten bespitzeln, und nun schreit die Zunft auf. Aber der Protest der Journalistengewerkschaften und der Politik hat einen Beigeschmack.
Denn wenn es stimmt, dass vorwiegend Journalisten selbst ihre Kollegen bespitzelt haben, dann sollte man auch in den eigenen Reihen mal Saubermann spielen und Ursachenforschung für dieses »kollegiale Verhalten« betreiben, ohne den BND deswegen zu entlasten.
Geheimdienstliche Angriffe auf die Pressefreiheit haben in der Tat zwei Seiten: die innere Verfasstheit von Journalisten, vielleicht auch ihre ethischen Maßstäbe, und die staatliche Verfassung. Und sie werfen die alte Frage an die Vierte Gewalt auf: Wer kontrolliert die Kontrolleure?
Die Pressefreiheit ist existentiell für ein freiheitliches Staatswesen, das haben wir amtlich seit der »Spiegel«-Affäre vor gut vierzig Jahren. Das Bundesverfassungsgericht bescheinigte es uns damals in einem Urteil. Ist die Pressefreiheit und damit unser freiheitliches Gefüge durch die Machenschaften des BND nun gefährdet?
Das zu behaupten wäre zu hoch gegriffen. Es handelt sich um Verfehlungen von Einzelpersonen, nicht um Machtanmaßung von Staatsgewalten. Aber es gibt auch ein strukturelles Moment, das übrigens in allen Ländern der freien Welt zu beobachten ist: Seit dem 11. September 2001 hat sich die Wächter- und Sicherheitsfunktion des Staates von den Armeen und Polizeikräften auf die Geheimdienste verschoben. Prävention im Terrorkrieg heißt Informationsbeschaffung - und das bevor die Pläne der Phantomarmeen des Terrors umgesetzt werden.
Deshalb stehen professionelle Informationsbeschaffer, also Geheimdienste und Journalisten, sozusagen an der Front. Und das ist die erste Lektion, die aus der BND-Affäre zu ziehen wäre: Auch die Informationsbeschaffung muss rechtens sein, sonst hat der Terror gewonnen, weil er den Rechtsstaat ausgehöhlt hätte.
Konkret: Journalisten dürfen, wenn sie durch Zufall oder Recherche auf Informationen stoßen, die die Sicherheit von Personen und erst recht der Gemeinschaft gefährden könnten, diese Informationen nicht für sich behalten. Das Gemeinwohl steht höher als ein vermeintlicher Scoup im beruflichen Konkurrenz-Geschäft.
Diese Informationen sollten allerdings an die richtigen Stellen weitergegeben werden können, ohne die Quellen offenzulegen.
Diese Abwägung setzt voraus, dass Journalisten klar zwischen Meinwohl und Gemeinwohl unterscheiden und ethische Maßstäbe setzen können. Hier wird ein zweites Defizit sichtbar: In der Ausbildung von Journalisten fehlt es an einer Pflichtenlehre oder der Vermittlung einer Berufsethik. Das ist fundamental.
Niemand kann Freiheit verteidigen, der nicht auch Verantwortung zu übernehmen weiß. Keine Vierte oder sonstige Gewalt hat Freiheit verdient, wenn sie sie nicht zum Wohl aller einzusetzen bereit ist. Das wäre die zweite und nicht die geringste Lektion.

Artikel vom 18.05.2006