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Alibi des Angeklagten
ist ein »Rohrkrepierer«

Prozess gegen Einbrecherbande geht in Verlängerung

Bielefeld (hz). Überraschende Wende im Einbrecherprozess vor dem Landgericht: Statt der für gestern erwarteten Urteile ging die seit neun Wochen laufende Verhandlung in die Verlängerung. Das Verfahren gegen die drei Angeklagten Johannes B. (42) aus Bielefeld, Sascha W. (21) aus Minden und Carsten B. (41) aus Bad Oeynhausen ist nun bis August terminiert.

Grund dafür sind zahlreiche neue Beweisanträge der Verteidigung von Carsten B.. Der Kaufmann gilt als Kopf einer Einbrecherbande, die sich in Ostwestfalen-Lippe und im angrenzenden Niedersachsen sowie in Nordhessen auf hochwertige Waren aus Möbelhäusern, Baumärkten sowie auf Artikel für den Reitsport und auf Automobilzubehör spezialisiert hatte. Insgesamt, so wirft es die Staatsanwaltschaft den drei Angeklagten vor, soll bei elf Taten zwischen Juli 2004 und August vergangenen Jahres Beute im Wert von etwa 225 000 Euro gemacht worden sein.
Allerdings erwies sich der erste Beweisantrag der Verteidiger von Carsten B. gestern vor der 3. Großen Strafkammer als Rohrkrepierer. B. hatte behauptet, Mitte Juli 2004 nicht an einem Einbruch in ein Teakholzgeschäft in Oerlinghausen beteiligt gewesen zu sein, sondern bei einem Freund in Bad Salzuflen die ganze Nacht hindurch Geburtstag gefeiert zu haben. Daran allerdings konnte sich das Geburtstagskind, das im Eilverfahren von den Richtern der Großen Strafkammer als Zeuge ins Landgericht gebracht worden war, nicht erinnern. Statt dem Hauptangeklagten Carsten B. das erhoffte Alibi zu geben, erklärte der Salzufler, dass er sich im Juli vor zwei Jahren bei der Mutter in Bielefeld aufgehalten habe, statt in der lippischen Heimat eine Party zu schmeißen.
Carsten B., für den Staatsanwalt Hans-Dieter Heidbrede beim vorletzten Sitzungstag am 4. Mai bereits neun Jahre Haft gefordert hatte (das WESTFALEN-BLATT berichtete in der Ausgabe vom 5. Mai), ist bei Kripo und Justiz kein Unbekannter. Der 41-Jährige hatte vor 20 Jahren in Emmerich (Rheinland) eine Kaserne überfallen und Bundeswehrwaffen geraubt. Das Landgericht in Kleve hatte den Kaufmann deshalb im Jahr 1990 zu fünf Jahren und vier Monaten Haft verurteilt.
Zudem vermutet die Bielefelder Kripo sogar, dass es sich bei Carsten B. um einen Mörder handelt. Der 41-Jährige steht im Verdacht, einen Komplizen aus der Einbrecherbande erschossen zu haben. Die Leiche des 28-jährigen Carsten G. war im August 2005 im Weserseitenkanal bei Petershagen entdeckt worden. Der Mitarbeiter der Sixt-Autovermietung war mit zwei Kopfschüssen getötet, mit Eisenstangen beschwert in Maschendraht gewickelt und dann nach Mafiamanier im Wasser versenkt worden - dies ergab die spätere Obduktion.
Bei dem seit dem 7. März laufenden Prozess gegen die Einbrecherbande steht mit dem jüngsten Angeklagten Sascha W. der Halbbruder des Ermordeten vor dem Landgericht. Der 21-Jährige, gegen den die Staatsanwaltschaft eine zweijährige Jugendstrafe beantragt hatte, legte bereits Ende März vor der 3. Großen Strafkammer ein umfassendes Geständnis ab und beschrieb detailliert, wie er mit seinem erschossenen Halbbruder, dem Hauptangeklagten Carsten B., und weiteren Tätern in Ostwestfalen-Lippe, Niedersachsen und Nordhessen auf Beutezug gegangen war.
Der Prozess wird am Montag, 29. Mai, fortgesetzt. Unter anderem sollen von der 3. Großen Strafkammer weitere Zeugen vernommen werden.

Artikel vom 16.05.2006