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Mehr aus eigener Tasche zahlen

Krankenversicherte sollen zwischen mehreren Tarifen wählen können

Berlin (dpa). Krankenversicherte müssen nach der geplanten Gesundheitsreform für medizinisch nicht unbedingt nötige Behandlungen voraussichtlich stärker selbst in die Tasche greifen. Das hat gestern Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) gestern beim »Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit« in Berlin angekündigt.

Da viele kostspielige Therapien wie etwa Hüftoperationen auch künftig von den gesetzlichen Kassen bezahlt werden sollen, »können wir nicht mehr das Schnupfenmittel finanzieren«. Entscheidend wird nach Worten Schmidts künftig die Frage: »Was kommt in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung?« Der Nutzen von Diagnosen und Therapien könne nicht ohne Berücksichtigung der Kosten bewertet werden. Die Versicherten sollen nach Schmidts Vorstellung künftig stärker zwischen unterschiedlichen Tarifen der gesetzlichen Kassen wählen.
Alle Krankenkassen müssten weiter den gleichen Leistungskatalog als Basis anbieten. Mit Modellen, bei denen Versicherte zunächst immer ihren Hausarzt aufsuchen müssen, oder speziellen Programmen für Chroniker sollten die Kassen aber ver-stärkt in Wettbewerb zueinander treten. Schmidt hob zugleich die Bedeutung von individuellen Zusatzversicherungen hervor, deren Zahl etwa bei Sehhilfen und Zahnersatz durch die jüngste Gesundheitsreform bereits auf mehr als 15 Millionen angewachsen sei.
Schmidt bekräftigte ihr Ziel einer stärkeren Heranziehung der Privatkassen. Sie unterstützte ausdrücklich Elemente der niederländischen Gesundheitsreform, nach der alle Kassen »zu gleichen Bedingungen auf dem Markt« konkurrieren und sich keine Versicherung ihre Versicherten aussuchen dürfen. Dies ist heute in Deutschland bei den Privatkassen der Fall. »Das würde mir schon gefallen, wenn wir in Deutschland zu solchen Vereinfachungen kommen.« Sie sehe es nicht ein, warum nur die gesetzlichen Kassen in Deutschland steigende Kostenrisiken tragen müssten.
Details aus den Koalitions-Reformverhandlungen nannte Schmidt nicht. Sie räumte ein, von einem schnelleren Fortschritt ausgegangen zu sein, zeigte sich aber »verhalten optimistisch« über einen Erfolg.
Mit Blick auf die in der Koalitionsarbeitsgruppe diskutierten Strukturreformen sagte Schmidt, »nicht jeder Euro« werde heute zum Nutzen der Patienten verwendet. Ein »Durchbruch« müsse es bei dem Ziel geben, Kassenpatienten stärker von Krankenhausspezialisten behandeln zu lassen. Teure Diagnosen würden heute vielfach nur nach einer Einweisung in eine Klinik vorgenommen. Dies müsse stärker ambulant angeboten werden. Bereits im ersten Quartal 2006 stieg mit den Kosten für Krankenhausbehandlungen der größte Kostenfaktor im Gesundheitswesen nach Kassenschätzungen um sechs bis acht Prozent an.
Schmidt sprach sich zugleich für eine grundlegend neue Vergütung niedergelassener Ärzte aus. Das Punktesystem müsse »endlich abgeschafft« und stattdessen müssten für die Leistungen feste Preise bezahlt werden. Zugleich müsse die Koalition Regeln gegen die Ausweitung der Behandlungs- und Diagnosemengen entwickeln. Derzeit ist für einzelne Behandlungen eine bestimmte Zahl an zu bezahlenden Punkten festgelegt, deren Geldwert aber sinkt, wenn am Ende eines Abrechnungszeitraums besonders viel behandelt wurde.
Die Ministerin warnte auch vor steigenden Kosten im Gesundheitswesen durch einen hohen Tarifabschluss für die streikenden Uniklinik-Ärzte. »Ich halte die Forderung von 30 Prozent für überzogen, weil ich nicht weiß, wer das bezahlen soll. Weiter erklärte sie, Ärzte müssten durch angemessene Arbeitszeiten auch die Möglichkeit haben, Familie und Beruf in Einklang zu bringen.

Artikel vom 18.05.2006