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Generalabrechnung mit der Regierung

FDP-Bundesparteitag - Westerwelle wirft Koalition krasses Versagen vor

Rostock (Reuters). FDP-Chef Guido Westerwelle hat den Rostocker Bundesparteitag seiner Partei zur Generalabrechnung mit der Regierung genutzt. In seiner Rede vor den Delegierten warf er der großen Koalition krasses Versagen in der Haushaltspolitik vor und bestritt die Notwendigkeit der geplanten Mehrwertsteuererhöhung.

»Der Staat hat Geld. Er verplempert es nur zu gern in Bereichen, aus denen er sich eigentlich heraushalten sollte«, kritisierte Westerwelle. Seine Kritik richtete er ausdrücklich auch an die Union, die mit der SPD eine Notgemeinschaft der Wahlverlierer bilde.
Ex-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt griff Kanzlerin Angela Merkel direkt an. Die CDU-Chefin sei auf SPD-Linie eingeschwenkt und setze die rot-grüne Politik fort, bemängelte er. Beide Politiker erhielten von den Delegierten stehenden Applaus.
Die FDP beschloss, sich stärker in der Umweltpolitik engagieren zu wollen, um so in Konkurrenz zu den Grünen neue Wähler zu gewinnen. In einem Dringlichkeitsantrag forderte die FDP die Regierung auf, zu den neuen Vorwürfen gegen den BND wegen der Bespitzelung von Journalisten rasch Stellung zu beziehen.
Für Westerwelle war es der erste große Auftritt in der neuen Doppelfunktion als Partei- und Fraktionschef, seit er Gerhardt aus dem Amt gedrängt und damit für Unmut an der Parteibasis gesorgt hatte. Gerhardt erhielt lang anhaltenden Beifall, als Westerwelle ihm für seine siebenjährige Amtszeit dankte. Als Vorsitzender der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung bleibe Gerhardt eine tragende Säule in der liberalen Familie, sagte Westerwelle.
Der Parteitag galt als Gradmesser dafür, wie gut es Westerwelle gelungen ist, sich seit dem Streit im Herbst auch die Anhänger Gerhardts gewogen zu machen. Gerade traditionelle Liberale hatten befürchtet, mit Westerwelle allein an der FDP-Spitze könne die Spaßpolitik wieder bei der Partei Einzug halten. Offene Konflikte blieben am Wochenende jedoch aus. Teilnehmer sprachen nach den Querelen der vergangenen Jahre von einer »wohltuenden Langeweile«.
Lauten Applaus erhielt der FDP-Chef für seine scharfen Attacken gegen die Bundesregierung. »Wir haben unser Wort gehalten. Die Umfaller sind die, die jetzt regieren«, betonte er. Die Regierung kassiere lieber die Bürger ab, als die Strukturen zu ändern. Wachstumsraten von 1,5 Prozent würden gefeiert, obwohl sie weit unter dem Wachstum vieler Nachbarstaaten lägen. »Deutschland wird zum Geisterfahrer der Weltwirtschaft«, warnte der FDP-Chef.
Die Regierungspolitik sei eine Zumutung für Familien. Das neue Elterngeld nehme der Staat den Familien über Steuererhöhungen gleich wieder weg. »Es gibt nichts Unsozialeres als diese Steuererhöhungspolitik.« Programmatisch kündigte Westerwelle an, die Wählerbasis der Liberalen verbreitern zu wollen.
In Rostock verabschiedete die FDP einen Leitantrag zur Umweltpolitik. Seine Partei könne eine modernere und intelligentere Umweltpolitik betreiben als die Grünen, die nur auf staatliche Bevormundung setzten, sagte Westerwelle. Nach einer hitzigen Debatte entschieden die Delegierten zudem, an der Pflichtmitgliedschaft von Betrieben in Kammern wie den Industrie- und Handelskammern (IHK) festzuhalten.

Artikel vom 15.05.2006